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Privileg und Kammerknechtschaft der Juden in Deutschland (1236 Juli)

Die nachstehende Urkunde Kaiser Friedrichs II. (1212-1250) inseriert das Wormser Judenprivileg Kaiser Friedrichs I. (1152-1190) vom 6. April 1157 und macht die darin aufgeführten Vergünstigungen für alle Juden im deutschen Reich verbindlich. Sie verurteilt weiter die als grundlos bewiesenen Ausschreitungen, die damals in Fulda gegen die Juden stattgefunden hatten. Sie spricht von den Juden als "unseren Kammerknechten in Deutschland", als universi Alemannie servi camere.

Edition, Übersetzung: Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250, hg. v. L. WEINRICH (= FSGA A 32), Darmstadt 1977, S.232-247, Nr.61, S.496-503, Nr.123. - Übersetzung: BUHLMANN.

Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreieinigkeit. Friedrich II., begünstigt durch göttliche Gnade Kaiser der Römer und immer Augustus, König von Jerusalem und Sizilien.

Wenn auch das Hervorragen der kaiserlichen Würde angehalten ist, alle dem römischen Reich Unterworfenen den Arm seines Schutzes zu reichen und auf gleiche Weise die Christgläubigen beim Schutz des Glaubens aus göttlicher Besonnenheit heraus zu unterstützen, so ziemt es sich insbesondere, die ungläubigen [Juden], für die nichtsdestoweniger Gesetze zu erlassen sind, wie ein ihr [der kaiserlichen Würde] besonders anvertrautes Volk fromm zu lenken und gerecht zu schützen, damit sie nicht, wenn sie sich mit den Gläubigen unter dem Schutz unserer Hoheit befinden, nicht von Mächtigen durch Gewalt bedrängt werden. Des-halb gilt das, was dem gegenwärtigen Zeitalter und der darauf folgenden Zukunft durch den Wortlaut des vorliegenden Schriftstücks bekannt sei, dass alle unsere Kammerknechte in Deutschland unsere Hoheit gebeten haben, dass wir geruhen, das Privileg unseres vergöttlichten Großvaters und Kaisers Friedrich [I.] seligen Angedenkens, das den Wormser Juden und deren Genossen gegeben wurde, aus unserer Gnade heraus allen Juden in Deutschland zu befestigen.

Dessen [Friedrichs I.] Privileg hat folgenden Wortlaut: Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreieinigkeit. Friedrich, begünstigt durch göttliche Gnade Kaiser der Römer und immer Augustus. Allen Bischöfen, Äbten, Herzögen, Grafen und nicht zuletzt allen den Gesetzen unseres Reiches Unterworfenen sei bekannt, dass wir den Juden von Worms und deren übrigen Genossen die Festsetzungen unseres Kaisers Heinrich [IV.] aus der Zeit des Judenbischofs Salmann auch durch unsere Autorität als ewiges Gesetz befestigen. [1.] Weil wir daher wollen, dass sie in Bezug auf jegliche Gerichtsbarkeit nur uns einzubeziehen haben, haben wir durch die Autorität unserer königlichen Würde befohlen, dass weder ein Bischof noch ein Kämmerer, noch ein Graf, noch ein Schultheiß, noch sonst irgendwer außer dem, den sie selbst auswählen, es wagt, Rechtssachen oder Abgaben mit ihnen oder gegen sie zu behandeln, außer jener, der aus ihrer Wahl hervorging, wie wir zuvor gesagt haben, und den der Kaiser selbst ihnen an die Spitze gestellt hat. [2.] Von den Dingen allerdings, die sie nach Erbrecht besitzen an Grundstücken, Gärten, Weinbergen, Äckern, Hörigen oder an übrigen beweglichen und unbeweglichen Sachen, wage keiner, ihnen irgendetwas wegzunehmen. In Bezug auf den Nutzen, den sie haben hinsichtlich der Gebäude innerhalb oder außerhalb der Mauer der Stadt, möge keiner sie behindern. Wenn aber irgendwer es wagt, sie entgegen diesem unseren Beschluss darin zu beunruhigen, sei er der Angeklagte unserer Gnade und soll diesen die Sache, die er weggenommen hat, durch das Doppelte ersetzen. [3.] Sie [die Juden] haben auch die freie Möglichkeit, innerhalb der ganzen Stadt mit irgendwelchen Leuten Silber zu wechseln außer nur vor dem Münzhaus oder [an Orten] anderswo, wo sich Münzwechsler aufhalten. [4.] Sie mögen innerhalb unseres Königreiches frei und friedlich umherziehen, um ihren Handel und Verkauf abzuwickeln, um zu kaufen oder zu verkaufen. Und keiner möge von ihnen Zoll erheben, keiner irgendeine öffentliche oder eigene Besteue-rung vornehmen. [5.] In ihren Häusern mögen ohne ihre Zustimmung Gäste nicht untergebracht werden. Keinem von ihnen möge für einen Kriegszug des Königs oder des Bischofs oder zur Unterstützung eines königlichen Kriegszuges ein Pferd abverlangt werden. [6.] Wenn aber gestohlene Dinge bei ihnen aufgefunden werden und wenn ein Jude sagt, dass er [diese] gekauft hätte, möge er durch Schwur gemäß seinem Gesetz glaubhaft machen, für wie viel er es gekauft hat, und ebenso viel empfangen und die Sache dem zurückstellen, dem sie gehörte. [7.] Keiner wage, ihre Söhne oder Töchter mit Zwang zu taufen; wenn er die tauft, die mit Gewalt gefangen oder heimlich geraubt oder gezwungen wurden, so möge er an den Schatz des Königs zwölf Pfund Gold zahlen. Wenn aber irgendeiner [von den Juden] aus eigenem Antrieb wünscht getauft zu werden, so soll drei Tage gewartet werden, damit vollständig erkannt wird, dass er wegen des christlichen Glaubens oder auf Grund eines ihm zugefügten Unrechts sein Gesetz aufgeben will. Und wie sie das Gesetz ihrer Väter aufgegeben haben, so geben sie auch das Erbe auf. [8.] Keiner möge ihre heidnischen Hörigen unter dem Deckmantel des christlichen Glaubens taufen und von ihrem Dienst abbrin-gen. Wenn er dies macht, zahle er den Bann - das sind drei Pfund Silber - und gebe den Knecht seinem Herrn zurück; der Knecht aber möge in allem den Befehlen seines Herrn ge-horchen, nichtsdestoweniger ungeachtet der Beachtung des christlichen Glaubens. [9.] Es steht ihnen frei, christliche Mägde und Ammen zu haben und für durchzuführende Arbeiten Christen in Dienst zu nehmen außer an den Fest- und Sonntagen; und kein Bischof oder irgendein Geistlicher stehe dem entgegen. [10.] Es steht ihnen frei, einen christlichen Sklaven zu kaufen. [11.] Wenn ein Jude mit einem Christen oder ein Christ mit einem Juden streitet, mögen beide, soweit es die Sache erfordert, gemäß ihrem Gesetz Gerechtigkeit erlangen und ihren Standpunkt glaubhaft machen. Und wie es jedem Christen frei steht, durch seinen [Schwur] und den öffentlichen Schwur jeweils eines Zeugen beider Rechte zu zeigen, dass die durch ihn dem Juden gestellten Bürgen entbehrlich geworden sind, so möge es auch dem Juden freistehen, durch seinen [Schwur] und dem öffentlichen Schwur eines Juden und eines Christen zu zeigen, dass die durch ihn dem Christen gestellten Bürgen entbehrlich geworden sind; und er [Christ oder Jude] möge nicht weiter vom Kläger oder Richter verfolgt werden. [12.] Und niemand möge einen Juden zum Urteil mit glühendem Eisen oder heißem oder kaltem Wasser zwingen, und er möge ihn weder mit Ruten schlagen noch in ein Gefängnis werfen; aber er [der Jude] möge gemäß seinem Gesetz nach vierzig Tagen schwören. Keiner [der Juden] kann durch Zeugen - außer durch Juden und Christen [gemeinsam] - in irgendeiner Rechtssache überführt werden. Bei jeder Rechtssache mögen sie sich an den König wenden, Gerichtsverhandlungen werden ihnen gewährt. Wer immer gegen diese unsere Bestimmung angeht, möge den Bann - das sind drei Pfund Gold - dem Kaiser bezahlen. [13.] Wenn irgendwer gegen einen von ihnen [den Juden] sich verschwört oder die-sem auflauert, um ihn zu ermorden, so soll der Verschwörer oder Mörder zwölf Pfund Gold an den Schatz des Königs zahlen. Wenn er aber diesen [Juden] nicht tödlich verwundet, so zahle er ein Pfund Gold. Und wenn es ein Knecht ist, der jenen [Juden] tötet oder verwundet, möge dessen Herr entweder die oben genannte Buße zahlen oder den Knecht zur Bestrafung übergeben. Wenn er die besagte [Buße] wegen Armut nicht zahlen kann, möge er dieselbe Strafe erleiden, mit der aus der Zeit unseres [Ur-] Urgroßvaters, des Kaisers Heinrich [III., 1039-1056], jener belegt wurde, der einen Juden mit Namen Vivus getötet hatte, nämlich mit dem Herausreißen seiner Augen und dem Abschlagen der rechten Hand. [14.] Wenn die Juden selbst einen Streit unter sich haben oder irgendeine zu entscheidende Rechtssache, werden sie von Ihresgleichen und nicht von anderen gerichtet. Und wenn irgendwann zwischen ihnen ein in der Sache Treuloser die Wahrheit tatsächlich verbergen will, so soll er gezwungen sein, die Wahrheit zu bekennen vor dem, der der Bischof der [Juden] ist. Wenn sie aber in eine große Rechtssache verwickelt sind, mögen sie eine Gerichtsverhandlung beim Kaiser haben, wenn sie wollen. [15.] Außerdem mögen sie die Erlaubnis haben, ihren Wein, Gewürze und Arzneimittel Christen zu verkaufen, und keiner möge - wie wir oben gesagt haben - von ihnen Spannpferde oder Dienste oder irgendeine öffentliche oder private Abgabe beanspruchen. Und damit diese Bewilligung im ganzen Zeitalter unverletzlich bestehen bleibt, haben wir befohlen, diese Urkunde daher aufzuschreiben und durch den Eindruck unseres Siegels zu kennzeichnen. Die Zeugen dieser Sache sind: Erzbischof Arnold von Mainz; Bischof Konrad von Worms; Bischof Günther von Speyer; Bischof Hermann von Verden; Konrad, Pfalzgraf bei Rhein; Friedrich, Herzog der Schwaben und Sohn König Konrads [III.]; Graf Emicho von Leiningen; Ulrich von Hirrlingen; Markward von Grumbach. Zeichen des Herrn Friedrich, des Kaisers der Römer und Augustus. Ich, Kanzler Rainald, habe statt des Mainzer Erzbischofs rekognisziert. Gegeben in Worms an den 8. Iden des April [6.4.], während der Herr Friedrich, der unbesiegbarste Kaiser der Römer im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1157, Indiktion fünf, im 5. Jahr seines Königtums, im zweiten aber seines Kaisertums regierte. Geschehen in Christus; selig und amen.

Wir sorgen uns daher um die Schadloshaltung und die Ruhe der Juden Deutschlands und haben veranlasst, dass allen Juden, die unmittelbar unserer Kammer angehören, diese besondere Gnade zugestanden werden soll, wonach wir das oben genannte Privileg unseres besagten Großvaters mit den Bestimmungen nachahmen und wiederholen und das, was darin enthalten ist hinsichtlich dem, was der selige Augustus, unser Großvater, den Wormser Juden und deren Genossen großzügig zugestanden und gestattet hat, ihnen von angeborener Gnade her versichert haben.

Außerdem wollen wir, dass allen Heutigen und Späteren bekannt ist [das Folgende]: Weil wegen der Ermordung gewisser Fuldaer Jungen die Juden, die in dieser Stadt zu dieser Zeit ansässig waren, schweren Repressionen ausgesetzt sind, wodurch den übrigen Juden Deutschlands wegen dieser beklagenswerten Sache allgemein eine aufgekommene Ver-stimmung beim benachbarten Volk drohte, zumal die Sachlage des Verbrechens unklar blieb, haben wir dafür gesorgt, dass zur Erhellung der Wahrheit über das besagte Verbrechen viele Fürsten und Große und Adlige des Kaiserreichs, Äbte und fromme Männer zu unserer Gegenwart gerufen wurden, um zu beraten. Weil diese Verschiedenen darüber verschieden geurteilt haben, weil sie - wie es sich ziemte - kein ausreichendes Urteil darüber finden konnten, haben wir aus dem Geheimnis unseres Gewissens heraus dafür gesorgt, dass gegen die Juden, die des oben genannten Verbrechens beschuldigt werden, nicht besser geurteilt werden kann als durch die, die Juden waren und zum christlichen Glauben übergetreten sind und die - gleichsam [den angeklagten Juden] entgegengesetzt - von daher nichts verschweigen von dem, was sie über diese oder über die mosaischen Bücher oder die Abfolge des Alten Testaments wissen können. Obwohl aber durch die Autoritäten vieler Bücher, die unsere Majestät zu Rate gezogen hat, unsere Überzeugung vernünftigerweise die besagten Juden für unschuldig hält, haben wir endlich nicht nur zur Rechtfertigung für das unkundige Volk, sondern auch von Rechts wegen auf unseren heilsamen Rat hin und mit einmütigen Rat der Fürsten, Großen, Adligen, Äbte und frommen Männer zu allen Königen des Abendlandes besondere Gesandte geschickt, die aus deren Königreichen Neugetaufte, die im jüdischen Gesetz bewandert sind, zu unserer Gegenwart geschickt haben. Während diese sich an unserem Hof nicht geringe Zeit aufhielten, haben wir verordnet, um die Wahrheit in dieser Sache herauszubringen, dass sie sorgfältig und mit Eifer die Aufklärung [des Verbrechens] betreiben und unsere Gewissenhaftigkeit unterrichten, ob es, um von daher ein anderes Verbrechen durchzuführen, eine besondere Einstellung zum menschlichen Blut gibt, die diese Juden bewogen hätte, das besagte Verbrechen zu begehen. Nachdem deren Meinungen darüber bekannt wurden, wonach es weder im Alten noch im Neuen Testament überliefert ist, dass die Juden begierig sind, menschliches Blut zu verwenden, nehmen sie sich - und dies steht dem Gesagten entgegen - vielmehr ganz und gar in Acht vor jeglicher Verunreinigung mit Blut, was wir ausdrücklich haben in der Bibel, die hebräisch Berechet heißt, in den von Moses gegebenen Vorschriften, in den jüdischen Vorschriften, die Talmud heißen. Auch wir nehmen begründet an, dass es diesen [Juden], denen das Blut auch der erlaubten Tiere verboten ist, nicht dürstet nach menschlichem Blut; dies ist eine schreckliche Sache entgegen der Natur und gegen ihre Art, durch die sie auch die Christen lieben. Und da sie diesbezüglich weder die Tiere noch die Menschen für nichts halten können, um nicht Gefahr für Besitz und Leben auf sich zu ziehen, haben wir durch das geäußerte Urteil der Fürsten verkündet, dass die Juden des besagten Ortes [Fulda] vom Verbrechen und die anderen Juden Deutschlands von solch einem schweren Vorwurf ganz und gar freigesprochen sind.

Deshalb ordnen wir an durch die Autorität des vorliegenden Privilegs und verbieten allgemein, dass irgendeine Person - sie sei kirchlich oder weltlich, hoch oder niedrig - unter dem Vorwand der Predigt oder irgendeiner Gelegenheit - Schultheißen, Vögte, Bürger oder andere - die besagten Juden insbesondere oder allgemein hinsichtlich des besagten Vorfalls angeht oder irgendwie diesbezüglich beschuldigt, während alle wissen mögen, dass, weil der Herr in seinen Knechten geehrt wird, alle, die sich gegenüber den Juden, unseren Knechten, einnehmend und wohlwollend verhalten, unzweifelhaft uns Ehre erweisen, dass die Übrigen, die es wagen, gegen das Schriftstück unserer vorliegenden Versicherung und Freisprechung anzugehen, der Zorn unserer Hoheit treffen wird.

Damit aber das Vorliegende, die Bestätigung und die Freisprechung, mit unerschütterlicher Kraft bestehen bleibt, haben wir befohlen, das von daher vorliegende Privileg anzufertigen und durch eine goldene Bulle mit dem eingeprägten Bildnis unserer Majestät zu kennzeich-nen. Dies Zeugen dieser Sache sind: die Erzbischöfe S[iegfried] von Mainz, E[berhard] von Salzburg, D[ietrich] von Trier; die Bischöfe E[kbert] von Bamberg, K[onrad] von Speyer; König Wladislaus von Böhmen; .., Herzog von Bayern; .., Markgraf von Brandenburg; .., Landgraf von Thüringen; .., Herzog von Sachsen; .., Markgraf von Baden; K[onrad], Burggraf von Nürnberg; K[onrad] von Hohenlohe; E[berhard] Schenk von Winterstetten; Bruder Hermann [von Salza], Hochmeister des Deutschen Ordens; Bruder B[erthold] von Tannroda und viele andere mehr.

Zeichen des Herrn Friedrich II, durch die Gnade Gottes unbesiegbarster Kaiser der Römer und immer Augustus, König von Jerusalem und Sizilien. Geschehen ist dies im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1236, im Monat Juli, Indiktion 9, während unser Herr Friedrich, unbesiegbarster Kaiser der Römer und immer Augustus, König von Jerusalem und Sizilien, herrschte im siebzehnten Jahr seines römischen Kaisertums, im elften des Königreichs Jerusalem, im achtunddreißigsten aber des Königreichs Sizilien; selig [und] amen.

Gegeben in Augsburg in vorbezeichnetem Jahr, Monat und Indiktion.

Bearbeiter: Michael Buhlmann

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