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Israel: Moderne
Jüdische Geschichte
Der moderne Staat Israel wurzelt u.a. im Zionismus, jener auf Aufklärung, Säkularisierung und Modernisierung beruhenden politisch motivierten Bewegung, die vor dem Hintergrund von fehlender jüdischer Emanzipation in West- und Judenpogromen in Osteuropa eine "nationale Heimstatt" für das Volk der Juden in Palästina forderte. Befördert wurde die zionistische Bewegung stark durch die Person Theodor Herzls (*1860-†1904) (1. zionistischer Kongress in Basel 1897: "Basler Programm").
Die folgenden Jahrzehnte waren von einer jüdischen Zuwanderung (Alija) nach Palästina geprägt, wobei fünf jüdisch-zionistische Migrationswellen festzustellen sind (1. Alija [1882-1904] auf Grund von Pogromen in Russland: ca.30000 Juden; 2. Alija [1904-1914] wegen Pogromen und auf Grundlage zionistisch-sozialistischer Weltanschauungen: ca.35000 Juden, Gründung von Tel Aviv [1909], erster Kibbuz Degania [1910]; 3. Alija [1918-1924] wegen der kommunistischen Revolution in Russland: Kibbuzimbewegung, "Gartenstadt" Moschaw Nahalal [1921]; 4. Alija [1924-1931] wegen der Stalindiktatur und des sowjetischen Antisemitismus: ca.60000 Juden [bis 1926], Anwachsen von Städten wie Tel Aviv oder Haifa; 5. Alija [1933-1945/47] in der Folge der nationalistischen Gewaltherrschaft in Deutschland und Europa: ca.250000 Juden [bis 1939], auch illegale Einwanderung).
Die Einwanderungswellen verstärkte die jüdische Gemeinschaft in Palästina (Jischuw), die bis 1931 auf 175000 (17 Prozent der Gesamtbevölkerung), bis 1946 auf 543000 Personen (30 Prozent) anwuchs; Palästina wurde zu dem Zentrum jüdisch-zionistischer Kultur (weltweit) (Hebräisch als Verkehrssprache, Literatur, Hebräische Universität Jerusalem [1925]). Die Einwanderung war dabei abhängig von den politischen Gegebenheiten, insbesondere in der Zwischenkriegszeit (1918-1939) vom Verhalten der britischen Mandatsmacht über Palästina (Balfour-Deklaration 1917, Passfield-Weißbuch 1930, Beschränkung der Einwanderung 1934, Teilungsplan der Peel-Kommission 1937, McDonald-Weißbuch 1939). Zudem riefen Einwanderung und Landkauf bei der arabischen Bevölkerung Palästinas Ängste, Misstrauen und Zorn hervor, besonders nach den Unruhen von 1929 (Konflikte in Jaffa 1921, "Bund zionistischer Revisionisten" 1925, Zusammenstöße in Jerusalem und darüber hinaus [Massaker von Hebron] 1929, jüdische "Hagana" als para-/miltitärischer Machtfaktor, jüdische Terrororganisation "Etzel" 1931, "Großer Arabischer Aufstand" 1936/39, radikale jüdische Gruppe "Lechi" 1940, jüdische Elitetruppe "Palmach" 1941).
Jüdische Radikale bekämpften während und nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) die britische Mandatsmacht (Bombenanschlag auf das Jerusalemer King David Hotel 1946; Weigerung der Mandatsmacht, das Passagierschiff "Exodus" mit 4500 Holocaustüberlebenden in Palästina anlegen zulassen [1947]), während z.B. die Vertreter der 1930 gegründeten jüdischen Arbeiterpartei (MAPAI) unter dem Vorsitzenden David Ben-Gurion militärische Aktionen gegen die Mandatsmacht ausschlossen.
Mit der Billigung der Resolution 181 über das Ende des britischen Mandats über und einer jüdisch-arabischen Teilung von Palästina durch die Vereinten Nationen (UNO) (29. November 1947) war der Weg zu einem jüdischen Staat in Palästina frei. Aus dem in Palästina weitgehend autonom agierenden Jischuw wurde in der Folge der selbstständige Staat Israel (Unabhängigkeitserklärung im Museum von Tel-Aviv am 14. Mai 1948).
UNO-Resolution und Gründung des Staates Israel riefen sofort den Widerstand der arabischen Bevölkerung hervor; in einem Unabhängigkeitskrieg (1. Phase: November 1947-Mai 1948; 2. Phase: Mai 1948-Juli 1949) setzten sich bei Erweiterung des jüdischen Territoriums (über die Gebiete des Teilungsplans hinaus) letztlich die jüdische Truppen gegen arabisch-palästinensische Milizen ("Arabische Legion", arabische Belagerung Jerusalems 1948) und die Armeen aus Ägypten, Syrien und Irak (ägyptischer Angriffsversuch auf Tel-Aviv 1948) durch (Waffenstillstand Juni/Juli 1948, jüdische Eroberung arabischer Städte [Lydda, Ramla] 1948, jüdischer Vorstoß nach Eilat und zum Roten Meer 1949). Der Krieg endete mit Waffenstillständen mit den benachbarten arabischen Staaten (bis Juli 1949) bei faktischer Anerkennung der erweiterten israelischen Grenzen ("Grüne Linie"); durch den Krieg wurden 700000 arabische Palästinenser vertrieben, das Königreich Jordanien annektierte das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalems, Ägypten besetzte den Gaza-Streifen. Die Grenzen des jüdischen Staates, deren Bewohner (auch Exil-/Diasporajuden) sich vor dem Hintergrund der erkämpften Unabhängigkeit zunehmend als einheimische Sabras verstanden, blieben auch nach dem Krieg im Rahmen von Grenz- und Guerillakriegen (1948/49-1967) umkämpft (arabische Infiltration und Anschläge [Fedajins], jüdische Gegenmaßnahmen ["Einheit 101", Massaker von Qibya 1953]).
Die Verstaatlichung des Suezkanals durch den ägyptischen Präsidenten Abdel Nasser, der sich der kommunistischen Sowjetunion stark angenähert hatte, führte zum letzlich erfolglosen Eingreifen Großbritanniens und Frankreichs in der Suezkrise (1956); Israel griff auf Seiten der europäischen Mächte ein, besetzte den Sinai und drang bis zum Nordteil des Kanals vor; das Eingreifen der Sowjetunion und der USA nötigten Großbritannien und Frankreich zum Abzug, Israel und Ägypten schlossen einen Waffenstillstand, Israel zog in der Folge seine Truppen vom Sinai wieder ab (Januar 1957).
Ab den 1950er-Jahren befinden sich die Juden im Staat Israel auf den Weg von einer eher "kulturell homogenen Gesellschaft" des "Schmelztiegels" der Jischuw zu einer "heterogenen Mosaikgesellschaft", ablesbar an den immer wieder von der Knesset, dem jüdischen Parlament, beschlossenen verfassungsnahen Grundgesetzen (Rückkehrgesetz 1950 [Begriff "Jude", orthodoxes Judentum als Staatsreligion]), am säkularen (Zionismus) und religiösen Israel (Halacha als jüdisch-religiöses Gesetz: Reform- und konservatives Judentum ursprünglich deutscher Prägung, strenge jüdische Orthodoxie [jüdische Nationalisten, Charedim als ultraorthodoxe Juden), an Spannungen zwischen Demokratie und Religion (Schabbatkämpfe und -verbote [1980er-Jahre], Ultraorthodoxe und Wehrpflicht, wachsender Anteil von Ultraorthodoxen an der jüdischen Gesamtbevölkerung); die jüdische Hauptstadt Tel Aviv stand und steht dabei für das säkulare Israel.
Israel war und ist ein Einwanderungsland; gerade nach der Staatsgründung gelangte eine Vielzahl von Juden aus Europa, dem Irak und dem Jemen dorthin (1948-1953: ca.650000; Operation "Ezra und Nehemia" 1948), doch blieb z.B. die Integration der Olim ("Einwanderer") aus arabischen Staaten in dem westlich-europäisch-säkular geprägten Staat zunächst durchaus materiell und kulturell unzureichend. Ähnliche Integrationsprobleme gab es bei den Zuwanderern aus dem Maghreb (1950er-, 1960er-Jahre), insbesondere aus Marokko, mit deren arabisch-jüdischer Misrachi-Identität. In den 1980er-Jahren kamen in einer Alija (dunkelhäutige) Zuwanderer aus Äthiopien nach Israel, in den 1990ern (mehr als 1000000) Juden aus den Staaten der zerfallenen Sowjetunion. Auch die Zuwanderergruppen trugen und tragen mit ihren "legitimen Kulturen" zur "Mosaikgesellschaft" Israels bei. Gesellschaftlich standen und stehen die Araber in Israel indes am Rand; auch wanderten Israelis u.a. in wirtschaftlichen Notzeiten wieder aus, so dass mit der Zeit wieder große jüdische Gemeinden außerhalb Israels entstanden (u.a. in Berlin).
Wirtschaftlich war und ist Israel geprägt von der (im Verlauf der Jahrzehnte sich verändernden) Kibbuzimbewegung zwischen Nationalismus und Sozialismus (wirtschaftliche Rezession in den 1960er- und 1980er-Jahren), einer in den 1980er-Jahren vollzogenen Wende zu Neoliberalismus und Kapitalismus bei Privatisierung staatlicher Betriebe und zunehmender Eingebundenheit der israelischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft (Reformen von 1985 und 2003), von zunehmenden Protesten gegen eine große Teile der Bevölkerung betreffende soziale Schieflage (wie 2014). Israelische Staatlichkeit definierte und definiert sich nicht zuletzt über die Erinnerung an den Holocaust des Zweiten Weltkriegs (Wiedergutmachungsabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland 1952, Gründung von Yad Vashem 1953, Prozess gegen Adolf Eichmann 1961, Zeitzeugen des Holocaust [Nizolim], Yehuda Elkana 1988).
In den 1960er-Jahren hatte sich der Staat Israel unter seinen Ministerpräsidenten (Premierministern) David Ben-Gurion (1948-1953, 1955-1963), Moshe Sharet (1953-1955) und Levi Eschkol (1963-1969), die linksgerichteten Regierungen (MAPAI, Awoda) vorstanden, politisch soweit stabilisiert, dass das jüdische Staatswesen den Sechstagekrieg (Junikrieg) von 1967 gegen die arabischen Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien und Syrien bestehen konnte; der Präventivschlag israelischer Truppen unter Verteidigungsminister Mosche Dajan gegen Ägypten brachte schon am ersten Tag (5. Juni) die Entscheidung; die Halbinsel Sinai wurde besetzt, ebenso gegen Jordanien das Westjordanland ("Westbank") einschließlich Ostjerusalems (Klagemauer) und gegen Syrien die Golanhöhen. Der Sieg im Sechstagekrieg ließ eine "Großisrael-Bewegung" unter den Juden entstehen, während die Situation der palästinensischen Araber in den besetzten Gebieten (Westbank, Gazastreifen) prekär wurde und blieb (Flucht und Vertreibung, israelische Militärregierung, palästinensischer Nationalimus, Al-Fatah und PLO [Palestine Liberation Organization] unter Jassir Arafat [†2004]). Der Sechstagekrieg machte Israel zu einer "Regionalmacht" im Nahen Osten.
Mit Ägypten unter Präsident Nasser hielt ein Abnutzungskrieg am Suezkanal allerdings noch mehrere Jahr an (1968-1970; israelische "Bar-Lev-Linie"), bis unter Nassers Nachfolger Anwar al-Sadat es zunächst zum Jom-Kippur-Krieg (als Stellvertreterkrieg im Ost-West-Konflikt) (Oktober 1973; israelische Verteidigung der Golanhöhen gegen Syrien, ägyptische Vorstöße auf dem Sinai, israelischer Vorstoß Richtung Kairo), dann zum Waffenstillstand und schließlich über Sadats Besuch in Israel (1977) zum Friedensabkommen von Camp David (1978) kam (Abzug Israels vom Sinai). Der politisch-gesellschaftliche Konsens in Israel nach dem Sechstagekrieg verschwand indes in den 1970er-Jahren unter der Premierministerin Golda Meir (1969-1974) und ihrem Nachfolger Jitzchak Rabin (1974-1976, 1992-1995, ermordet), ablesbar an der Entstehung einer israelischen Siedlerbewegung, die sich für jüdische Ansiedlungen in den 1967 besetzten Gebieten aussprach (Anfänge in Gush-Ezion und Hebron 1973, israelische Siedlung Sebastia 1974), ablesbar aber auch daran, dass ab 1977 konservative Regierungen in Israel dominieren, deren Regierungschefs der Likud-Partei angehören: Den Likud-Premiers Menachim Begin (1977-1983), Jitzchak Schamir (1983-1984, 1986-1992), Benjamin Netanjahu (1996-1999, 2009-heute), Ariel Sharon (2001-2006) stehen die linksgerichteten Regierungschefs Schimon Peres (1983-1984, 1995-1996), Jitzchak Rabin, Ehud Barak (1999-2001) sowie der "liberale" Ehud Olmert (2006-2009) gegenüber.
Das Friedensabkommen von Camp David war ohne Beteiligung der Palästinenser geschlossen worden, was das Verhältnis zwischen Israel und den Arabern in den besetzten Gebieten zusätzlich belastete; die PLO war schon 1970 aus Jordanien vertreiben worden, ein palästinensischer Terrorismus griff um sich (Terrorakt bei den Olympischen Spielen in München 1972 u.a.), die PLO bedrohte den Norden Israels. Der 1. Libanonkrieg Israels diente der Bekämpfung der PLO im Libanon (1982; zeitweilige Besetzung Beiruts, Massaker christlicher Falangisten in palästinensischen Lagern); bis 1985 bzw. 2000 solltten israelische Truppen im Süden des Libanon verbleiben (Aufstieg der islamistisch-schiitischen Hisbollah), der Libanonkrieg löste in Israel eine Friedensbewegung aus, entfremdete aber Juden und Palästinenser weiter voneinander. So kam es, verursacht durch die jüdischen Siedlungsaktivitäten, aber auch durch wirtschaftliche Probleme und Überbevölkerung (Gazastreifen, Gründung der islamistisch-sunnitischen Hamas 1987), auf Seiten der Palästinenser zur Ersten Intifada (1987-1993), einhergehend mit einer weiteren Militarisierung der israelischen (Zivil-) Gesellschaft (Militärdienst, Rolle der Reservisten). Politisch beruhigend wirkten zunächst die Friedensverhandlungen und das Abkommen von Oslo (1993), das einen israelisch-palästinensischen Ausgleich bei teilweiser palästinensischer Autonomie im Gazastreifen und in der Westbank vorsah, sowie der Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien (1994).
Doch überwog in der Folgezeit auf beiden Seiten das Misstrauen, geschürt auch durch die Ermordung des israelischen Premiers Rabin durch einen jüdisch-religiösen Fundamentalisten (1995). Die vom Likud dominierten Regierungen seit den ausgehenden 1990er-Jahren hatten und haben jedenfalls kein Interesse an der Umsetzung des Osloer Friedensplans. Das Misstrauen mündete auf palästinensischer Seite in die Zweite Intifada (2000-2003; palästinensische Selbstmordattentäter). Es folgte der Rückzug der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen (2005), was dort Auseinandersetzungen zwischen der PLO und der Hamas auslöste (2005-2007; Hamas im Gazastreifen, PLO im Westjordanland unter der Regierung von Mahmoud Abbas), es folgte der 2. Libanonkrieg zwischen Israel und der Hisbollah (2006). Das Westjordanland außerhalb der palästinensischen Autononiegebiete stellt somit auch und gerade heute eine Zweiklassengesellschaft zwischen jüdischen Siedlern und palästinenischen Arabern dar. Israel muss sich heute zwischen Kooperation und Konfrontation entscheiden, zwischen einer Ein- oder Zweistaatenlösung, zwischen einer demokratischen Einbeziehung der arabischen Bevölkerung oder deren Unterdrückung.
Literatur:
Jendges, Hans (1976), Der Nahostkonflikt (= Zur Politik und Zeitgeschichte, H.30), Berlin 1976
Zadoff, Noam (2020), Geschichte Israels. Von der Staatsgründung bis zur Gegenwart (= BSR 2905), München 2020
Bearbeiter: Michael Buhlmann, 03.2025