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Polen - Mittelalter, frühe Neuzeit, Moderne
Auf die slawische "Kulturgemeinschaft" in Mittel- und Osteuropa ohne feste politische Ordnung im Sinne einer Fürstenherrschaft (6.-8. Jahrhundert) folgte u.a. - und in Beziehung stehend auch zum ostfränkischen Reich (Bayerischer Geograf) - eine Phase der Herrschaftsverdichtung, z.B. im sich ausbildenden polanischen Stammesgebiet der Fürsten der Piastendynastie (9./10. Jahrhundert, Christianisierung 968, Herzog Mieszko I. [†992]).
Mit dem Piasten Boleslaw I. Chobry (992-1025) war dann erstmals eine größere Herrschaftsbildung verbunden (Kaiser Otto III. und das Erzbistum Gnesen [1000], Kämpfe mit Kaiser Heinrich II. [bis 1018], Königtum Boleslaws [1025]). Das polnische Reich Boleslwas geriet jedoch unter seinem Sohn Mieszko II. (1025-1034) und unter dessen Nachfolgern in eine Herrschaftskrise (11. Jahrhundert; Thronkämpfe); die Grundlagen piastische Herrschaft waren das ius ducale und ein Abgabensystem (mit Dienstsiedlungen; Landesverwaltung), der Kirche gelang eine durchgreifende Christianisierung u.a. durch den Ausbau des Pfarrsystems.
Herzog Boleslaw III. (1102-1138) teilte Polen unter seine Söhne auf; es bildeten sich in der Folge die piastischen Teilfürstentümer des 12. bis beginnenden 14. Jahrhunderts aus: Seniorat Krakau, Schlesien, Masowien, Großpolen, Kleinpolen. Die hochmittelalterliche Epoche war dabei durch staken sozialen Wandel geprägt, u.a. betreffend Siedlung und Landesausbau (ländliche, städtische Lokation, ius Teutonicum z.B. als lübisches oder Magdeburger [Stadt-] Recht), Handel und Gewerbe (Juden, Generalprivileg [1264]).
Unter Wladyslaw (I.) Lokietek (1296/1320-1333) erfolgte bis 1320 die Wiederherstellung der polnischen Einheit (Königtum Wladyslaws [1330]). Lokieteks Sohn Kazimierz III. der Große (1333-1370) begründete bei äußerer und innerer Stabilisierung seiner Herrschaft die Großmachtstellung Polens in Osteuropa (Stadtgründungen, Rechtskodifikation, Königtum und Adelsstand [Statuten von Wislica und Petrikau 1346/47], Universität Krakau [1364]).
Kazimierz starb ohne männlichen Erben; nach einem Zwischenspiel des ungarischen Königs Ludwig I. des Großen (1370-1382) auf dem polnischen Königsthron ging Letzterer an den mit Hadwig, der Tochter Kazimierz', verheirateten litauischen Großfürsten Jagiello-Wladyslaw (1386-1434) über (Taufe Jagiellos und Heirat [1386]).
Die Dynastie der Jagiellonen gebot in der Folgezeit (teilweise in Personalunion) über das Königreich Polen und das weit nach Osten und Südosten ausgreifende Großfürstentum Litauen. Jagiello setzte sich erfolgreich in Masowien und gegen den Deutschen Orden in Preußen durch (Schlacht bei Tannenberg [1410], 1. Thorner Frieden [1411]), er förderte die Christianisierung Litauens (Gegeneinander von katholischer und griechisch-orthodoxer Kirche).
Jagiellos Sohn Wladyslaw III. (1434-1444), auch König von Ungarn (ab 1439), starb auf dem Kriegszug gegen die türkischen Osmanen in der Schlacht bei Warna (1444). Ihm folgte Kazimierz IV. (1444/47-1492), der im Dreizehnjährigen Krieg (1454-1466) den Deutschen Orden besiegte (2. Thorner Frieden [1466] und Abtretung Pommerellens und Ermlands); dessen einer Sohn Wladyslaw (†1516) wurde durch Wahl König von Böhmen und Ungarn (ab 1471 bzw. 1490), der andere Jan Olbracht Kazimierz' Nachfolger (1492-1501), so dass gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Jagiellonen ein Konglomerat von Königreichen zwischen Ostsee und Adria beherrschten.
Königreich Polen und Großfürstentum Litauen waren um diese Zeit eine ständisch gegliederte monarchia mixta, eine "Adelsrepublik" (Rzeczpospolita, ?) mit König, Hochadel, Reichstag (Sejm) und Landtagen.
Ein Höhepunkt jagiellonischer Macht stellt dann die Regierungszeit König Zygmunts I. (1506-1548) dar. Mit dessen Sohn Zygmunt II. August (1548-1572) endete die Jagiellonendynastie in Polen-Litauen (polnisch-litauische Realunion von Lublin [1569]); schon Jahrzehnte zuvor hatten die Jagiellonen Böhmen und Ungarn verloren (Schlacht bei Mohacs gegen die Osmanen [1526] und Tod Ludwigs II. von Ungarn [1516-1526], habsburgisches Vordringen in Ost- und Südosteuropa), während (Polen-) Litauen (mit Livland) zunehmend unter den Druck von Moskauer Großfürstentum, Tataren und Osmanen geriet (Ukraine, Kosaken).
Gleichzeitig drang reformatorisches Gedankengut ins Jagiellonenreich ein (protestantisches Herzogtum Preußen [1525], Glaubensfreiheit des Adels 1555), während katholische Gegenreformation und die katholisch-orthodoxe Kirchenunion (1596) zu einer Stärkung der katholischen Position führten.
Mit dem Ende der Jagiellonendynastie (1572) begann in Polen-Litauen die Zeit des Wahlkönigtums, die mit den Jagiellonen verwandten schwedischen Vasa behaupteten sich in Polen-Litauen dennoch über achtzig Jahre: König Zygmunt III. (1587-1632) (Kriege gegen Moskau, Osmanen und Schweden [bis 1618/19, 1621, bis 1629], Oligarchisierung Polen-Litauens), König Wladyslaw IV. Zygmunt (1632-1648), König Jan II. Kazimierz (1648-1668).
Von der Mitte des 17. Jahrhunderts an war das polnisch-litauische Doppelreich verstärkt in kriegerische Auseinandersetzungen mit Russland, Schweden, den Kosaken und Osmanen verwickelt (Loslösung des Herzogtums Preußen [1657], Teilung der Ukraine im Waffenstillstand von Andrussovo [1667], Belagerung von Wien [1683], osmanische Besetzung der westlichen Ukraine [bis 1699], Großer Nordischer Krieg [1700-1721], preußisches Königtum [1701]); die polnisch-sächsischen Könige August II. der Starke (1697-1735) und August III. (1735-1763) konnten sich nur sehr bedingt gegen Adel und Magnaten, Preußen, Russland und Österreich durchsetzen (Konföderation von Tarnogród 1716, Pazifikationsreichstag [1736] und Reformversuche, Schlesische Kriege [1740/45], Siebenjähriger Krieg [1756-1763], "Löwenwoldesches Traktat" [1763]).
Die Reformpolitik König Stanislaw August Poniatowskis (1763-1795) führte zur ersten geschriebenen europäischen Verfassung (1791) und zu den drei polnischen Teilungen, die das Staatsgebiet unter Russland, Preußen und Österreich letzlich vollständig aufteilten (1772, 1793, 1795).
Nach napoleonischem Herzogtum Warschau (ab 1806), Russlandfeldzug (1812) und Wiener Kongress (1814/15) entstand bei Wahrung preußischer und österreichischer Territorialinteressen "Kongresspolen" als Teil des russischen Zarenreiches (polnische Aufstände [Novemberaufstand 1830/31, 1846, Januaraufstand 1863/64], Nationalbewegung und "Große Emigration", Integration und Ausgrenzung [Juden], Einwanderung und Migration, Gewerbe, Landreform, Industrialisierung und wirtschaftlich-sozialer Wandel ["organische Arbeit"], Nationalismen und polnische Nationalbewegung).
Durch den Ersten Weltkrieg (1914-1918) wurde Polen als (2.) Republik (1918-1939) unabhängig (Józef Pilsudski, Wahlen und Parlament [1919], Versailler Vertrag [1920; Pommerellen, Oberschlesien, Danzig als Freie Stadt], Kämpfe gegen die Sowjetunion [1920/22]).
Die polnische Republik war ein multiethnisches Staatswesen (Polen, Ukrainer, Juden, Weißrussen, Deutsche; Nation und Nationalitäten) mit einem Wirtschaftsgefälle zwischen West und Ost (Industrieregionen Oberschlesien, Lodz, Warschau; Einbindung in die Weltwirtschaft, Inflation [bis 1923/24]) und einer Außenpolitik, die sich an der geografischen Lage zwischen Deutschland und Sowjetunion orientierte (deutsche Revisionsansprüche, polnischer Antikommunismus, "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich, Sudetenkrise [1938], britische Garantie für die polnische Westgrenze [1939]).
Im Zweiten Weltkrieg wurde Polen (1939-1945) von deutschen Truppen brutal besetzt, gerade die jüdische Bevölkerung litt unter Pogromen und "Endlösung" (Vernichtungsfeldzug [1939], Eingliederung polnischer Gebiete ins Deutsche Reich und Generalgouvernement [1939], Krieg gegen die Sowjetunion [1941], Völkermord [ab 1941], polnischer Widerstand [polnische Exilregierung, "Heimatarmee" AK 1942, Warschauer Aufstand 1944]).
Kurz vor bzw. nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konstituierte sich nach "Westverschiebung", Umsiedlung und (deutscher) Vertreibung die kommunistische Volksrepublik (1944-1989) in Abhängigkeit von der Sowjetunion (Warschauer Pakt [1955] und West-Ost-Konflikt, kommunistische Partei PVAP [Wladyslaw Gomulka, Edward Gierek, Wojciech Jaruzelski], kommunistisches Wirtschaftssystem).
Dem Ende der kommunistischen Herrschaft (Solidarnosc und Lech Walesa [1980/81], Kriegsrecht und Demonstrationen, Papst Johannes Paul II. [1978-2005], Streiks, Zusammenbruch [1989]) folgte die polnische (3.) Republik demokratischer und marktwirtschaftlicher Orientierung (Anerkennung der polnischen Westgrenze durch Deutschland [1990], Präsidentschaften [Lech Walesa, Lech Kaczynski u.a.], katholische Kirche) und die Einbeziehung Polens in NATO (1999) und Europäische Union (2004).
Literatur:
Heyde, Jürgen (2006), Geschichte Polens (= BSR 2385), München 32011
Hoensch, Jörg K. (1983), Geschichte Polens (= UTB 1251), Stuttgart 1983
Mühle, Eduard (2011), Die Piasten. Polen im Mittelalter (= BSR 2709), München 2011
Rhode, Gotthold (1965), Geschichte Polens. Ein Überblick, Darmstadt 31980
Bearbeiter: Michael Buhlmann, 04.2025