Lexikonartikel: Investiturstreit, (Gregorianische) Kirchenreform

Investiturstreit, (Gregorianische) Kirchenreform

Die Epoche des Investiturstreits (1075-1122) ist sicher einer der prägnantesten Wendepunkte in der mittelalterlichen Geschichte Europas. Man kennt mit dem deutschen König, dem Salier Heinrich IV. (1056-1106), und mit Papst Gregor VII. (1073-1085) zwei Protagonisten dieser Zeit; der Bußgang Heinrichs IV. nach Canossa (26.-29. Januar 1077) ist berühmt geworden. Dabei ging es in diesem Konflikt zwischen König und Kirche zunächst um die Reform der Kirche (bis hin zur Gregorianischen Kirchenreform), dann um die Trennung von Welt und Kirche, woraus sich vornehmlich der Streit entwickelte um Simonie (den „Kauf kirchlicher Würden“), Nikolaitismus (Priesterehe) und Laieninvestitur (die Einsetzung von Priestern in ihr kirchliches Amt durch Laien, insbesondere der Bischöfe und Äbte durch den (deutschen) König). Der Simonievorwurf betraf dann auch indirekt das Eigenkirchenwesen, d.h. die Verfügung des Adels über die auf ihrem Grund und Boden erbauten Kirchen, und die Kirchenvogtei, also den mit Immunität und weltlichen Schutz begabten, besonderen Rechtsstatus einer Kirche oder eines Klosters. Die Härte des damaligen Kampfes zwischen Papst- und Königtum erklärt sich überwiegend daraus, dass mit dem Ausschluss des Königtums von der Kirche diesem wesentliche Einflussmöglichkeiten (in der ottonisch-salischen Reichskirche) und wichtige Machtmittel (Reichskirchengut) entzogen worden wären. Mit der Durchsetzung der Ansprüche Gregors VII. wäre jedenfalls ein sakral gedachter König als „Stellvertreter Christi“ undenkbar geworden, und ebenso unmöglich gewesen wäre eine Kirchenleitung durch den Herrscher. Dagegen gelang es dem Papsttum, die Kirche auf sich auszurichten und zu zentralisieren. Der Kompromiss des Wormser Konkordats (23. September 1122) beendete zumindest formell den Investiturstreit, bei dem es nicht zuletzt um den Vorrang der beiden, ihrem Verständnis nach universalen Gewalten in der Welt, nämlich des Kaiser- und des Papsttums, gegenüber der jeweils anderen ging (Gelasianische Zweigewaltenlehre).

Dem Investiturstreit auf der einen entsprach die Gregorianische Kirchenreform auf der anderen Seite, wobei mindestens vier Ziele/Leitvorstellungen der Kirchenreform des 11. und 12. Jh. feststellbar sind: Man war 1) gegen die Missstände im Klerus (Simonie, Priesterehe) bei sakramentaler Heilsvermittlung der Priester, 2) für die Verbesserung der Lebensführung geistlicher Gemeinschaften (u.a. Klosterreform), 3) für die Zurückdrängung des Einflusses von Laien auf die Kirche (u.a. bei Laieninvestitur und Vogtei), 4) für die Betonung des römischen Primats und der Sonderstellung der römischen Kirche (Papsttum und Papstkirche). Dass die Gregorianische Kirchenreform alles andere als eine einheitliche Erneuerungsbewegung war, versteht sich von selbst. Doch gelang es dem Papsttum als universalkirchliche Instanz durchaus, regionale, divergierende Tendenzen aufzunehmen und der zunehmend als Zentrale verstandenen römischen Kirche dienstbar zu machen. Diese Vereinheitlichung ermöglichte in einem weit ausholenden Klärungsprozess den letztendlichen Erfolg der Reformbewegung, die die katholische Kirche und das Papsttum – dem Zeitalter der ersten europäischen Revolution entsprechend – ebenso revolutionär und „fortschrittlich“ sah, ging es doch um die „Freiheit der Kirche“, die libertas ecclesie.

Feierabend, Reichsabteien; Goez, Investiturstreit; Hartmann, Investiturstreit; Laudage, Gregorianische Reform.

Artikel aus: Michael Buhlmann, Benediktinisches Mönchtum im mittelalterlichen Schwarzwald (= Vertex Alemanniae, Heft 10/1-2), St. Georgen 2004

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