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St. Georgener Handschriften

in der Badischen Landesbibiliothek Karlsruhe

Codex St. Georgen Nr. 36

Die Handschrift St. Georgen Nr.36, der berühmte sog. St. Georgener Prediger ist eine spätmittelalterliche Handschrift aus dem Kloster St. Georgen (in Villingen). Die auf Deutsch gehaltene Predigtsammlung stammt aus der Zeit um 1300. Sie ist eingebunden in einen modernen, roten Ledereinband, verschließbar mit zwei Schnallen. Der Codex besteht aus 108 Pergament-Folioblättern der Größe 21,6 cm x 14,2 cm. Die Seiten sind zweispaltig aufgebaut, eine große Initiale im Fleuronné-Stil ("geblümt", zweifarbig, Buchstabenschaft mit ornamentaler Aussparung) leitet eine neue Predigt, einen neuen Abschnitt ein. Bei den Majuskeln mitten im Text, die Satzanfänge und Einschnitte markieren, wechseln sich meist die Farben rot und blau - auch gemäß dem Fleuronné-Stil - ab. Die Minuskelschrift ist (gebrochen-) gotisch, die einzige Ausstattungsform der Handschrift eben der Fleuronné-Stil. Die Handschrift wird danach auf die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert datiert.

Wichtiger als die Form ist der Inhalt der St. Georgener Predigtsammlung. Die Handschrift enthält 39 deutsche Klosterpredigten, die ursprünglich ohne erkennbare Anordnung zu Beginn des 2. Viertel des 13. Jahrhunderts wohl in einem Zisterzienserkloster zusammengestellt worden sind. Zielgruppe der Predigten waren Nonnen, die geistlich-erbaulichen Texte enthalten kurze Predigten, religiöse Traktate, Erbauungstexte ohne Predigtform und haben theologisch anspruchsvolle Themen zum Inhalt wie Trinität, Christologie, Mariologie, Abendmahl und mystische Erfahrungen. Im Einzelnen beginnen die Predigten und Traktate bei: fol. 1r, 2v, 4v, 7v, 10r, 15r, 19v, 23r, 23v, 24r, 25r, 26v, 28r, 30v, 31v, 35v, 41r, 45v, 53r, 57r, 64v, 69r, 75v, 79v, 83r, 86v, 94v, 97v, 100v, 103v, 105r, 105v, 106r, 107r, 108r, 108v. Der Text bricht auf fol. 108v ab.

Fassbar ist die St. Georgener Predigtsammlung in einer breiten Überlieferung von 28 Handschriften. Zwei alemannische Handschriften stammen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, bei der Freiburger Handschrift handelt es sich um eine Sammlung, die um sog. Schweizer Predigten erweitert wurde. Weitere Handschriften finden sich im Bereich des Bayerischen, West- und Ostmitteldeutschen sowie Niederländischen. Nach 1500 wurden keine weiteren Handschriften der Predigtsammlung angefertigt. Der St. Georgener Prediger gelangte daher auch nicht in den Buchdruck.

Die St. Georgener Predigtsammlung ist im 17. Jahrhundert im Villinger St. Georgenkloster, dem Nachfolgekloster der St. Georgener Mönchsgemeinschaft im Schwarzwald, bezeugt. Von daher hat sie ihren Namen, der also nichts mit der ursprünglichen Herkunft von Handschrift und Sammlung zu tun hat.

Der St. Georgener Prediger gehört zu einer der drei großen Predigtsammlungen aus dem 13. und beginnenden 14. Jahrhundert. Am Ende des 13. Jahrhunderts waren die Schwarzwälder Predigten entstanden, die umfangreichste Sammlung von Musterpredigten des späten Mittelalters und vermutlich franziskanischen Ursprungs. Die deutschen Predigten schließlich, die dem Franziskaner Berthold von Regensburg (*ca.1210-†1272) zugeschrieben wurden, wollten die Bedeutung dieses Volkspredigers herausstellen.

Es bleibt noch auf die oben abgebildete Makulatur hinzuweisen, die sich auf dem hinteren Buchdeckel des St. Georgener Predigtsammlung befand, bevor sie abgelöst wurde. Das Pergamentstück verweist nach Trier und auf den Beginn des 12. Jahrhunderts (Anno dominice incarnationis mill cxvii indictio ...), ist dem "ehrwürdigen Trierer Erzbischof Bruno" (1102-1124) gewidmet und zählt Trierer Heilige, u.a. das Kreuz- und Marienpatrozinium der Trierer Domkirche auf.

Literatur, Abkürzungen: Buhlmann, M., Der St. Georgener Prediger, eine spätmittelalterliche Handschrift aus dem Kloster St. Georgen in Villingen, in: Der Heimatbote 16 (2005), S.79-86; Buhlmann, M., Die mittelalterlichen Handschriften des Villinger Klosters St. Georgen (= Vertex Alemanniae, H.27), St. Georgen 2006, S.15-22; Längin, T., Deutsche Handschriften der grossherzoglich badischen Hof- und Landesbibliothek (= Die Handschriften der grossherzoglich badischen Hof- und Landesbibliothek in Karlsruhe, Beilage II), 1894, S.3-6; Seidel, K.O., Die Sankt Georgener Predigten, 1982; r = recto; v = verso.

Bearbeiter: Michael Buhlmann