www.michael-
buhlmann.de

St. Georgener Handschriften

in der Badischen Landesbibiliothek Karlsruhe

Codex St. Georgen Nr. 64 (65)

Über den Erbauungsschriftsteller Otto von Passau ist wenig bekannt. Lediglich vier Urkunden und die Vorrede seiner christlichen Lebenslehre geben einige Hinweise. Danach war Otto von Passau Lektor der Franziskaner in Basel und bezeugte als solcher am 8. August 1362 eine Schenkung des päpstlichen Heerführers Hüglin von Schönegg (†1386), dessen Beichtvater Otto war. 1363 tritt Otto als Kustos der Basler Franziskaner in Erscheinung, im Jahr 1384 reformierte er als Visitator das Klarissenkloster Königsfelden, 1385 war er immer noch Mitglied des Basler Franziskanerkonvents. Am 2. Februar 1386 soll er sein Werk "Die vierundzwanzig Alten oder Der goldene Thron der minnenden Seele" fertig gestellt haben, was im Widerspruch zur ältesten erhaltenen Handschrift, dem St. Georgener Codex Nr. 64, steht.

Aus dem Nonnenkonvent Amtenhausen des 17. oder 18. Jahrhunderts, einem St. Georgener Priorat, (Eintrag: Ambtenhausen) stammt nun der hier vorzustellende St. Georgener Codex Nr. 64, der das Werk von den "Vierundzwanzig Alten" Ottos von Passau wohl am unmittelbarsten enthält. Die Papierhandschrift wurde im Jahr 1383 niedergeschrieben, wie Datierung und Kolophon gegen Schluss des 230 Blätter zählenden Manuskripts zeigen: "ffinto libro sit laus prae Gloria christus. Dis bůch geschriben wart do, yn dem iar do man zalt also. Nach gottes gebürte dz ist war, Drüzehen hundert vnd in dem lxxxiii e jar an dem nehsten dursttag Nach dem hailigen phingsttag [14.5.]. Durch erassimus hemelig hant von rotwil genant. Orate pro erasimo." Der Codex weist die größte zeitliche und räumliche Nähe zum (damit vor 1383 entstandenen) Original auf, wenn der Text auch viele Änderungen aus dem 16. Jahrhundert enthält. Schreiber der Handschrift war ab Folio 47 ein gewisser "Erassimus Hemeling". Wir werden hinsichtlich der Herstellung des Codex auf den Freiburger Raum verwiesen, wie die 23 erhaltenen Miniaturen der Alten - die Miniatur des ersten Alten fehlt wie der Anfang der Lebenslehre - und die als Makulatur verwendeten Pergamenturkunden zeigen. Die zwei deutschen Urkunden des 14. Jahrhunderts bzw. aus dem Jahr 1381 behandeln Rottweiler Rechtsgeschäfte.

Inhaltlich handelt es sich bei den "Vierundzwanzig Alten" um eine Erbauungsschrift, um eine christliche Lebenslehre, eine Sentenzensammlung, die Sentenzen (Gedanken, Meinungen, Sinnsprüche) von mehr als hundert christlichen und antiken Autoren enthält. Dabei spricht jeder der 24 Alten der biblischen Apokalypse (des Evangelisten Johannes) zu einem Thema, jede Rede beginnt mit einem Buchstaben in der Abfolge des Alphabets (1. Rede: A bis 23. Rede: Z, 24. Rede: W). Die 2. Rede etwa handelt von der Gottessuche und dem Wesen Gottes, die 12. von der Gottesmutter Maria, die 17. vom Gebet. Die Schrift Ottos von Passau wendet sich mit ihren Ausführungen zu allen Bereichen des christlichen Glaubens (Stellung des Menschen zu Gott und im Leben bei Lebensführung, Liebe und Tod) an Laien, Mönche und Nonnen. Gerade in Nonnenkonventen - siehe das St. Georgener Priorat Amtenhausen - scheinen die "Vierundzwanzig Alten" verbreitet gewesen zu sein.

Die Wirkung der Erbauungsschrift lässt sich im 15. Jahrhundert gut verfolgen, wobei es zunächst am Oberrhein, später in Schwaben, Bayern und der Schweiz verbreitet war. Um 1480 wurden die "Vierundzwanzig Alten" zum ersten Mal gedruckt.

Von Interesse ist für uns noch der Codex St. Georgen Nr. 65, der ebenfalls die "Vierundzwanzig Alten" enthält. Die 210 Papierblätter umfassende Handschrift weist auf Folio 1 recto folgende Widmung auf: "Unser liebsti schwster in gott, dorothea sattlerin von Rafenspurg, hat dis kostlich bůch, dz genannt ist die xxiiij alten, in dis vnser goczhuß Sant Claren in vilingen bracht dem confent vnd hat es si vnd unser wirdigi alti truwosti můter sälig S. vrsel haiderin geordnet in dz siechhuß, dz man es inen wol ze lieb soll lon werden, vnd wer darab lisst, sol es suberlich vund gott truwlich für sy baid bitten. Orate per eam." Dorothea Sattlerin war 1485 ins Villinger Klarissenkloster am Bickentor eingetreten. Das Bickenkloster war 1305 entstanden aus der Vereinigung der so genannten Neuhauser Sammlung mit einer kleinen Beginengruppe. Zurzeit der Dorothea Sattlerin war Ursula Haider (1480-1498) Äbtissin des Bickenklosters; sie ist durch ihre Fürsorge für Kranke bekannt.

Die Handschrift stammt wohl aus Ravensburg (Eintrag: "R S M 1478. In quarta feria ante pentecoste [6.5.]"), vielleicht wurde sie von Dorothea Sattlerin selbst niedergeschrieben. Wann sie vom Villinger Bickenkloster ins Villinger Georgskloster gelangt ist, ist unbekannt.

Literatur, Abkürzungen: Buhlmann, M., Die mittelalterlichen Handschriften des Villinger Klosters St. Georgen (= Vertex Alemanniae, H.27), St. Georgen 2006, S.25-29; Längin, T., Deutsche Handschriften der grossherzoglich badischen Hof- und Landesbibliothek (= Die Handschriften der grossherzoglich badischen Hof- und Landesbibliothek in Karlsruhe, Beilage II), 1894, S.16f; r = recto; v = verso.

Bearbeiter: Michael Buhlmann