Lexikonartikel: Landesausbau, Rodung

Landesausbau, Rodung

Bevölkerungsentwicklung. Wie unmittelbar einsichtig ist, hingen Landesausbau und Rodung, Siedlung und Besiedlung von der Anzahl der Menschen ab, die in einer gewisse Region lebten. Die Bevölkerungsentwicklung im Mittelalter ist zeitlich eingerahmt von zwei Pestperioden, der Justinianischen Pest (Mitte des 6. Jh.) und dem Schwarzen Tod (1348/49). Dazwischen haben sich die Bevölkerungszahlen, unterbrochen von gewissen Zeiten der Stagnation wie im 9. und 10. Jh., steigern, zwischen 1000 und 1300 verdoppeln bis verdreifachen können, so dass für den deutschen Südwesten am Ende des 13. Jh. von einer Gesamtbevölkerung von weniger als 1 Millionen auszugehen ist. Diese Zahl nahm im 14. Jh. infolge der Pestzüge stark (um ein Drittel bis zwei Drittel?) ab, um am Anfang der Neuzeit wieder den Stand von ca.1300 zu erreichen.

Landesausbau, Urbarmachung von Land und Rodung von Wald waren also eine unabdingbare Voraussetzung und Folge der Bevölkerungsentwicklung, wobei neben den Binnenausbau von Gebieten in Nachbarschaft des Altsiedellandes die Ostkolonisation trat. Auch die Entstehung von Städten und die Ausbildung bäuerlicher Landgemeinden gehören hierher. Im hohen und teilweise noch im späten Mittelalter nahm gerade in Mitteleuropa der (gelenkte) Landesausbau große Ausmaße an und führte zu einer beträchtlichen Erweiterung des landwirtschaftlich genutzten Kulturlandes, wobei grundherrschaftlicher Wandel, Dreifelderwirtschaft und „Vergetreidung“ - und damit eine Intensivierung der Bodennutzung – diese Entwicklung flankierten.

Schwarzwald. Das unwegsame Waldgebirge des Schwarzwalds wurde in seinem Inneren erst spät besiedelt. Für das 7. Jh. ist eine zögernde Besiedlung weniger Randzonen anzunehmen, im 8. bis 10. Jh. gingen wohl erste Rodungsimpulse von den Klöstern Ettenheimmünster, Gengenbach, Schuttern, St. Trudpert und vielleicht auch von St. Blasien aus. Betroffen war davon vornehmlich der West- und Südrand des Schwarzwalds, Siedlunginseln entstanden in manchen der in den Schwarzwald hineinführenden Tälern, im Nordschwarzwald wurde die Klosterzelle in Hirsau gegründet (v.768?, ca.830). Der hochmittelalterliche Landesausbau setzte im 11. Jh. ein und dauerte bis zum 13./14. Jh. Hier sind es besonders benediktinische Reformklöster wie St. Georgen, von denen die Rodungen ausgingen. So lässt sich anhand der spätmittelalterlichen Beraine feststellen, dass die Bauern der St. Georgener Mönchsgemeinschaft zwischen Furtwangen, Villingen und Tennenbronn den Wald rodeten. Und laut Abt Martin Gerbert von St. Blasien (1765-1783) war der Schwarzwald eine „Kolonie des Benediktinerordens“. Begünstigt durch das hochmittelalterliche „Klimaoptimum“, erfolgte nun die flächenhafte und systematische Durchdringung des Mittelgebirges bis in die zentralen Regionen hinein. Entstanden sind damals Orte, deren Toponyme u.a. auf -ach, -au, -bach und -berg enden – im Unterschied z.B. zu den frühmittelalterlichen Siedlungsnamen auf -heim und -ingen im alemannischen Altsiedelland oder auf -weiler und -dorf in fränkisch-karolingischer Zeit. Seit der Mitte des 14. Jh. wurde der hochmittelalterliche Landesausbau durch eine mitunter gegenläufige Entwicklung von Wüstungen und Besiedlungen abgelöst.

Auf die Zusammenhänge zwischen Landesausbau und entstehender Landesherrschaft, d.h. zwischen Besiedlung und politischer Erfassung des Schwarzwalds sei ebenso hingewiesen wie auf die Rolle der Klöster, die an für die räumlich-politische Erfassung des Schwarzwalds wichtigen Punkten gegründet wurden, so z.B. St. Georgen auf dem „Scheitel Alemanniens“ (vertex Alemanniae). Trotzdem darf die Rolle weltlicher Herren bei der Erschließung des Schwarzwaldes nicht unterschätzt werden, bauten hochmittelalterliche Reformklöster wie St. Peter doch auch auf dieser Vorarbeit auf.

Haubrich u.a., Schwarzwald, S.84; LexMA 6, S.1643-1653; Mayer, Besiedlung; Schaab, Schwarzwald; Wollasch, Anfänge, S.89.

Artikel aus: Michael Buhlmann, Benediktinisches Mönchtum im mittelalterlichen Schwarzwald (= Vertex Alemanniae, Heft 10/1-2), St. Georgen 2004

Artikel schließen