Lexikonartikel: St. Georgen im Schwarzwald

St. Georgen im Schwarzwald

In den Anfang des Investiturstreits (1075-1122), sicher einer der prägnantesten Wendepunkte in der mittelalterlichen Geschichte Europas, fällt die Gründung eines Benediktinerklosters auf dem „Scheitel Alemanniens“ im Schwarzwald: Die Mönchsgemeinschaft in St. Georgen, an der Quelle der Brigach gelegen, war ein Resultat des Zusammengehens von schwäbischem Adel und kirchlicher Reformpartei, eindrucksvoll repräsentiert durch die Klostergründer Hezelo (†1088) und Hesso (†1113/14) und den Abt und Klosterreformer Wilhelm von Hirsau (1069-1091). Statt des zunächst in Aussicht genommenen oberschwäbischen Königseggwald wurde auf Betreiben Wilhelms St. Georgen als Ort der Klostergründung ausgewählt. Mit der Besiedlung St. Georgens durch Hirsauer Mönche im Frühjahr und Sommer 1084 und der Weihe der Klosterkapelle am 24. Juni 1085 begann die Geschichte des Schwarzwaldklosters.

Zunächst hirsauisches Priorat, dann selbstständige Abtei (1086), begann in der Zeit Abt Theogers (1088-1119) der Aufstieg St. Georgens zu einem der bedeutendsten Klöster Süd(west)deutschlands Hirsauer Prägung. Bis um die Mitte des 12. Jh. vergrößerten Schenkung, Kauf und Tausch von Land und Rechten den Besitz des Klosters beträchtlich und schufen damit die materielle Basis klösterlicher Existenz. Die über Schwaben und das Elsass reichende, im Raum zwischen Neckar und Donau sich verdichtende Grundherrschaft aus Gütern, Besitzkomplexen, abhängigen Bauern, Einkünften und Rechten, auch über Pfarrkirchen und Klöstern, sicherte die Versorgung der Mönche, die u.a. in Liturgie und Gebet dem Seelenheil der klösterlichen Wohltäter gedachten.

Kloster und Klosterbesitz waren (theoretisch) geschützt durch den Vogt, den weltlichen Arm von Abt und Mönchskonvent. In den Anfangsjahren St. Georgener Existenz hatten der Klostergründer Hezelo und dessen Sohn Hermann (†1094) die Vogtei inne. Streitigkeiten mit Ulrich (I.) von Hirrlingen (†1123) und dessen Sohn Ulrich (II., †1152) am Anfang des 12. Jh. führten dazu, dass spätestens ab 1114 die Zähringerherzöge die Schutzherrn St. Georgens waren. Nach deren Aussterben (1218) fiel die Vogtei an den staufischen König Friedrich II. (1212/15-1250), dann an die Herren von Falkenstein, schließlich (1444/49) an die Grafen bzw. Herzöge von Württemberg.

Die Privilegien vom 8. März 1095 und vom 2. November 1105, die die Abtei von den Päpsten Urban II. (1088-1099) und Paschalis II. (1099-1118) erlangte, dienten der gleichsam verfassungsrechtlichen Absicherung des Klosters: Die libertas Romana, die „römische Freiheit“ beinhaltete dabei die Unterstellung des Klosters unter das Papsttum bei päpstlichem Schutz, freier Abtswahl und Verfügung des Klosters über die Vogtei. Sie bedingte die Einordnung der monastischen Einzelgemeinschaft in die katholische Kirche bei Zurückdrängung von adligem Eigenkirchenrecht und Vogtei sowie bei Sicherung der klösterlichen Existenz gegenüber bischöflichen Ansprüchen. Die libertas Romana war für das Schwarzwaldkloster von so großer Wichtigkeit, dass sie – zusammen mit dem Klosterbesitz und den klösterlichen Rechten – im hohen Mittelalter immer wieder von den Päpsten bestätigt werden sollte.

Eines dieser hochmittelalterlichen Papstprvilegien war die Urkunde Papst Alexanders III. (1159-1181) für St. Georgen mit Datum vom 26. März 1179. An ihr kann die Bedeutung des Schwarzwaldklosters als Reformmittelpunkt des Benediktinertums während des 12. Jh. in Elsass, Lothringen, Schwaben und Bayern abgelesen werden. Die Urkunde nennt eine Vielzahl von Kommunitäten, die damals in engeren Beziehungen zum Schwarzwaldkloster standen, d.h.: sich St. Georgen in der Seelsorge oder im Rahmen der Klosterreform unterstellten oder von St. Georgen aus errichtet wurden. Die Frauenklöster in Amtenhausen (1102) und Friedenweiler (1123) waren St. Georgener Gründungen und gehörten als Priorate zum Besitz des Schwarzwaldklosters, ebenso das Mönchskloster im elsässischen Lixheim (1107), das Nonnenkloster Urspring (1127) oder die „Zelle des heiligen Nikolaus“ in Rippoldsau (vor 1179). Über die Nonnenklöster Krauftal (1124/30) und Vargéville (um 1126) übten die St. Georgener Mönche eine geistliche Oberaufsicht aus, während das Benediktinerkloster Ottobeuren (1102), das Stift Admont (1115, Admonter Reform), die Klöster Hugshofen (vor 1110), Gengenbach (vor 1117), St. Ulrich und Afra in Augsburg (vor 1120) und Prüfening (1121) von St. Georgen aus Äbte und/oder Reformimpulse empfingen. Dabei darf nicht vergessen, werden dass das St. Georgener Kloster unter Hirsauer Einfluss entstanden ist, selbst also Teil der Hirsauer Reform war. Die Reformwirkung St. Georgens muss im ersten Drittel des 12. Jh., in der Zeit der Äbte Theoger und Werner I. (1119-1134) beträchtlich gewesen sein, während in der zweiten Jahrhunderthälfte eine Phase der Stagnation eintrat.

Parallel zu den mehr oder weniger engen Beziehungen zum Papsttum gewann das Verhältnis zu den deutschen Königen im 12. Jh. zunehmend an Bedeutung. Erinnert sei an die Hinwendung St. Georgens zum Königtum, zu König Heinrich V. (1106-1125) im Umfeld des Vogteistreites mit Ulrich (I.) von Hirrlingen. Damals bestätigte der Herrscher u.a. in einem Diplom vom 16. Juli 1112 der Mönchsgemeinschaft die päpstlichen Privilegien Urbans II. und Paschalis‘ II. sowie den St. Georgener Besitz an Lixheim. Ebenfalls Lixheim zum Inhalt hatte die Urkunde des staufischen Kaisers Friedrich I. Barbarossa (1152-1190) vom Jahr 1163. Es war die Zeit des sog. alexandrinischen Papstschismas (1159-1177), jener Kirchenspaltung, in der die Partei des Kaisers und die Gegenpäpste gegen den schon erwähnten Alexander III. standen. St. Georgen gehörte wohl weitgehend zur staufischen Seite und erhielt somit erst nach Beendigung des Schismas durch den Frieden von Venedig (24. Juli 1177) das oben genannte Privileg von Papst Alexander III. Das Aussterben der Zähringer, der St. Georgener Klostervögte, im Jahr 1218 brachte dann die Vogtei an den Staufer Friedrich II. (1212/15-1250), der in einer Urkunde vom Dezember 1245 der Mönchsgemeinschaft ihre Privilegien bestätigte, nicht ohne auf die staufische Vogtei und auf die daraus abgeleiteten Rechte zu verweisen.

Die späte Stauferzeit leitete auch den wirtschaftlichen und geistig-religiösen Niedergang St. Georgens ein. Aspekte dieser Entwicklung waren: die Brandkatastrophe von 1224, die das Kloster zerstörte – der Neubau wurde 1255 geweiht; der Verfall der klösterlichen Disziplin und der mönchischen Bildung; Verluste an Gütern und Rechten durch Entfremdung, Verkauf und Misswirtschaft; innere Unruhen im Klosterkonvent - u.a. soll der Abt Heinrich III. (1335-1347) durch seinen Nachfolger Ulrich II. (1347, 1359) ermordet worden sein. Erst die Wende vom 14. zum 15. Jh. brachte unter dem reformerischen Abt Johann III. Kern (1392-1427) eine Neuorientierung monastischen Lebens und damit einen Wandel zum Besseren.

Auch aus dem späten Mittelalter sind Papstprivilegien für das Kloster St. Georgen überliefert - zum letzten Mal bestätigte auf dem Konstanzer Konzil Papst Martin V. (1417-1431) am 17. Januar 1418 der Mönchsgemeinschaft alle Freiheiten und Rechte -, doch besaßen die Beziehungen zu den deutschen Königen und Kaisern für das Schwarzwaldkloster eine größere Bedeutung. Paradoxerweise war dies eine Folge der schon erläuterten „römischen Freiheit“: Das Reformkloster war nämlich keine Reichsabtei, der St. Georgener Abt war kein Reichsfürst, die Mönchsgemeinschaft ein Kloster mit Bindungen zum Königtum, als es ihr immer wieder gelang, die Beziehungen zu den deutschen Königen aufrechtzuerhalten. Dies geschah über die königlichen Privilegienvergaben, zuletzt auf dem Wormser Reichstag Kaiser Karls V. (1519-1558) am 24. Mai 1521.

Hinter dem Zugehen auf das Königtum stand die Abgrenzung gegenüber den Klostervögten, deren Einfluss auf Kloster und Klostergebiet (d.h.: St. Georgen und Umgebung mit Brigach, Kirnach, Peterzell) sich im Rahmen der spätmittelalterlichen Territorialisierung noch verstärkte, während St. Georgen selbst immer mehr an Wichtigkeit einbüßte und das Kloster sich bei immerhin noch bedeutendem Grundbesitz in einem geistlichen und religiösen Niedergang befand. Gerade in der 2. Hälfte des 15. Jh. geriet die Mönchsgemeinschaft im Zuge von Landsässigkeit und Landstandschaft in den Sog der württembergischen Landesherrschaft. Das Jahr 1536 brachte dann mit der Begründung der württembergischen Landeshoheit über St. Georgen und mit der Einführung der Reformation eine Zäsur, die die Existenz des Klosters ganz wesentlich in Frage stellte. Das katholische Kloster und seine Mönche fanden eine neue Heimat im österreichisch-habsburgischen Villingen, während sich in St. Georgen eine Gemeinschaft mit evangelischer Klosterordnung unter evangelischen Äbten etablierte (1566). Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) konnte sich das katholische Kloster unter Abt Georg Gaisser (1627-1655) noch einmal für einige Jahre (1629-1632) in St. Georgen behaupten, doch führte der Krieg zur Zerstörung von Klosterkirche und -gebäuden am 13. Oktober 1633 durch Brand. Das Kloster in St. Georgen ist danach nicht wieder aufgebaut worden, die katholische Mönchsgemeinschaft blieb auf Villingen beschränkt. Villingen schließlich wurde im Rahmen der napoleonischen Neuordnung auch Südwestdeutschlands im Jahr 1805 württembergisch, ein Jahr später badisch. Nun ereilte das Kloster das Schicksal von Säkularisation und Aufhebung (1806).

Äbte

Buhlmann, Gründung und Anfänge; Buhlmann, Heiliger Georg; Buhlmann, Könige in Beziehungen zu St. Georgen; Buhlmann, Papsturkunde; Buhlmann, Päpste in Beziehungen zu St. Georgen; Buhlmann, Südwestdeutschland; Buhlmann, Theoger; HHS BW, S.687f; LexMA 8, Sp.1158f; Notitiae; Wollasch, Anfänge; WürttUB II 416.

Artikel aus: Michael Buhlmann, Benediktinisches Mönchtum im mittelalterlichen Schwarzwald (= Vertex Alemanniae, Heft 10/1-2), St. Georgen 2004

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