Lexikonartikel: Wilhelm von Hirsau

Wilhelm von Hirsau

Wilhelm von Hirsau stammte aus Bayern, wo er vielleicht um das Jahr 1030 geboren wurde. Über seine Herkunft ist weiter nichts bekannt. Wilhelm erhielt – als puer oblatus den Benediktinern übergeben - seine geistliche Ausbildung zum Mönch im Emmeram-Kloster, einer Eigenkirche des Regensburger Bischofs. Otloh von St. Emmeram (*ca.1010-†n.1079) war der berühmte Lehrer Wilhelms. Und so verfasste Wilhelm etwa ab der Mitte des 11. Jh. gelehrte Traktate über Astronomie und Musik, Teildisziplinen des Quadriviums, des „Vierwegs“ innerhalb der „sieben freien Künste“, der septem artes liberales. Noch heute kann man in Regensburg das berühmte sog. steinerne Astrolabium Wilhelms bewundern, ein über ein zweieinhalb Meter hohes Denkmal, auf dessen Vorderseite eine Astrolab-Sphaera eingraviert ist, während die Rückseite einen in den Himmel blickenden Mann zeigt, vermutlich den griechischen Astronomen und Dichter Aratos (3. Jh. v.Chr., 1. Hälfte).

Im Jahr 1069 kam es zur Berufung Wilhelms zum Hirsauer Abt. In den ersten Jahren als Abt verfolgte Wilhelm das Ziel, sein Kloster von den weltlichen Gewalten weitgehend unabhängig zu machen. Dies geschah auf der Grundlage der schon seit längerer Zeit wirksamen gorzisch-lothringischen und cluniazensischen Reformbestrebungen, ganz im kirchlich-revolutionären Sinn der Zeit. Wilhelms Politik richtete sich also zunächst gegen den Calwer Grafen. Eine Königsurkunde Heinrichs IV. (1056-1106) – wohl bald nach 1070 formuliert – schuf immerhin die wichtige Beziehung zum Königtum, schrieb aber im Wesentlichen den Stand Hirsaus als gräfliches Eigenkloster fest. Ein 1073/75 von Papst Gregor VII. ausgestelltes Privileg stellte Hirsau unter päpstlichen Schutz. Die integra libertas coenobii („ganze Freiheit des Klosters“) des sog. „Hirsauer Formulars“, einer Urkunde König Heinrichs vom 9. Oktober 1075 beinhaltete die freie Abtswahl und die freie Wahl bzw. Absetzung des Vogtes (freilich aus der Stifterfamilie des Klosters). Gegen die Widerstände des Grafen Adalbert II. von Calw (†1099) hatte sich Wilhelm letztlich durchgesetzt. Der Graf hatte zuvor auf seine laikale Herrschaft über das Kloster verzichtet, der König trat gleichsam an die Stelle des Grafen und unterstellte die Mönchsgemeinschaft seinem Schutz, ohne dass Hirsau ein „freies“, königsunmittelbares Kloster wurde. Der Graf erhielt in königlicher Bannleihe die erbliche Vogtei über Hirsau, der Abt wurde in „Selbstinvestitur“ eingesetzt.

Die Verschärfung der Fronten im Investiturstreit mag auch Auswirkungen auf die inneren Verhältnisse im Hirsauer Kloster gehabt haben. Jedenfalls ist von Wilhelm überliefert, dass er in Hirsau die Gewohnheiten des burgundischen Klosters Cluny einführte. Auf diesen fußen die Constitutiones Hirsaugienses („Hirsauer Gewohnheiten“), die im Rahmen der Hirsauer Reform weite Verbreitung fanden. Disziplin und Gehorsam, harte Strafen bei Übertretungen der Vorschriften und dauernde Kontrolle der Mönche zeichneten spätestens in den Jahren nach 1079 das Leben in Hirsau aus. Parallel dazu hat man, um den Ansturm von Laien auf Hirsau in den Griff zu bekommen, das Institut der Konversen, der Laienbrüder geschaffen. Offensichtlich war Hirsau trotz oder gerade wegen der mönchischen Strenge und der asketischen Frömmigkeit für viele Menschen attraktiv. Dem Aufschwung des Klosters unter Wilhelm von Hirsau entsprach es dann auch, dass die Enge des Aureliusklosters verlassen wurde und man sich auf der gegenüberliegenden Seite der Nagold ansiedelte. Dort entstand nach 1083 die damals größte Klosteranlage in Deutschland mit der mächtigen romanischen Kirche, die dem heiligen Petrus geweiht war.

Das Wirken Wilhelms war aber nicht nur auf Hirsau beschränkt. Viele Klöster, neugegründete und alteingesessene, sollten sich der Hirsauer Reform anschließen. Neue Abteien, die von Hirsauer Mönchen besiedelt wurden, waren: Zwiefalten, Blaubeuren, St. Peter und St. Georgen in Schwaben, Reinhardsbrunn in Thüringen; schon bestehende Klöster, die die Hirsauer Lebensform annahmen: Petershausen bei Konstanz, Schaffhausen, St. Peter in Erfurt und Komburg; Hirsauer Priorate schließlich: Reichenbach im Murgtal, Schönrain in Franken, Fischbachau in Bayern. Die Hirsauer fanden also besonders in Schwaben und Franken, dann in Mittel- und Ostdeutschland ihre Anhänger. Der weiten Verbreitung der Hirsauer Reform entsprach dabei der Ruf Wilhelms in der kirchlich-politischen Propaganda des Investiturstreits. Der Hirsauer Abt war die Stütze der Gregorianer in Deutschland, in Schwaben. Er stand auf der Seite der Gegenkönige Rudolf von Schwaben (1077-1080) und Hermann von Salm (1081-1088), u.a. ihm war die Geschlossenheit der gregorianischen Partei im deutschen Südwesten zu verdanken, vom Ruf, den das Hirsauer Kloster in den Kreisen der Kirchenreformer besaß, ganz abgesehen. Als Wilhelm am 5. Juli 1091 starb, hatte damit die Reformpartei in Schwaben und Deutschland einen wichtigen Repräsentanten verloren. Die Vita Willihelmi abbatis Hirsaugiensis bewahrt sein Andenken.

Buhlmann, Gründung und Anfänge, S.8-12; Kerker, Wilhelm; Vita Willihelmi.

Artikel aus: Michael Buhlmann, Benediktinisches Mönchtum im mittelalterlichen Schwarzwald (= Vertex Alemanniae, Heft 10/1-2), St. Georgen 2004

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