Quellen zur Geschichte Gerresheims

1202 Juni 26, Rom (Lateran):

Erster Gerresheimer Äbtissinnenstreit

Die Quellen zur Gerresheimer Geschichte schweigen für das 12. Jahrhundert weitgehend. Und so erfahren wir erst durch zwei Briefe Papst Innozenz III. (1198-1216) wieder Konkretes über das Gerresheimer Stift. Danach muss es um 1200 zu einer Äbtissinnen-Doppelwahl gekommen sein, bei der sich als Anwärterinnen auf das Amt Gertrud und Guda gegenüberstanden. Der erste Gerresheimer Äbtissinnenstreit hatte begonnen. In einem Brief Innozenz' III. vom 6. Februar 1200 heißt es diesbezüglich, dass Gertrud, "als einst das Stift zu Gerresheim vakant war, von zwölf Stiftsdamen zur Äbtissin gewählt worden war, während nur fünf Guda wählten". Folge der strittigen Wahl war ein langwieriger kanonischer Prozeß, der im nachstehenden zweiten Papstbrief vom 26. Juni 1202 ausführlich dargestellt und erst durch das Eintreten des Papstes für Gertrud beendet wurde. Gertrud hatte sich dabei nicht nur gegen Guda, sondern auch gegen das bergische Grafenhaus durchzusetzen, mit dem ihre Gegnerin wahrscheinlich verwandt war. So standen der Kölner Erzbischof Adolf I. von Altena (1193-1205; 1212-1216) und Engelbert der Heilige, damals Propst von St. Gereon zu Köln und später Erzbischof (1216-1125), auf der Seite Gudas. Dass Innozenz III. sich dennoch für Gertrud entschied, hatte seinen Grund in den unentschiedenen Machtverhältnissen in Deutschland und besonders im Rheinland nach der 1198 erfolgten Doppelwahl eines staufischen und eines welfischen Königs. So war der Papst, der den Welfen Otto IV. (1198-1215) unterstützte, nicht mehr davon überzeugt, ob dies auch noch der Kölner Erzbischof tat.

[Innozenz III.] an den Dekan der Kölner Domkirche, den Propst von Bonn und den Prior von Heisterbach.

Wenn es uns freisteht, Personen durch Urteilsspruch einzusetzen, so ist dies auch nützlich im Fall des Stifts in Gerresheim, der sich um die geliebten Töchter in Christo, Gertrud und Guda, dreht. Viele und mächtige Vermittler sprachen sich für Guda aus, so daß wir frei für diese geurteilt hätten. Weil aber Gott durch sein Gesetz wahrhaftig verordnet hat, daß wir weder Personen noch Dienste gutheißen, hingegen gerecht beurteilen [sollen], was gerecht ist, schritten wir auf dem richtigen Weg weiter, ohne [zunächst] eine Person gutzuheißen, und haben dafür gesorgt, diesen Fall gemäß den kanonischen Bestimmungen durch festzusetzende Gerechtigkeit zu beenden. Dabei gelangte zur Aufmerksamkeit unseres Apostelamts durch den Bericht unseres geliebten Sohnes, des Anwalts der geliebten Tochter in Christo, Gertrud, dass, als einst das vorgenannte Stift vakant war, sich die Stiftsinsassen lange nicht für eine sie leitende Äbtissin entscheiden konnten. Schließlich gab es die Wünsche zweier Parteien, von denen die eine Gertrud, die andere Guda sich zur Äbtissin wählte. Weil sich beide jener [Anwärterinnen] an den apostolischen Stuhl wandten, schickten sie zur weiterführenden Aussprache Boten, die zur Verhandlung zu den Richtern kamen und durch Eid versicherten, daß sie vom Auftrag, den sie jeweils erlangt hatten, in keiner Weise abrücken und einer gerechten Prüfung der Gewählten nicht entgegenstehen würden. Aber danach verstieß der Unterhändler der Guda gegen den vorstehenden Eid und erlangte insgeheim ein [päpstliches] Schreiben an die geliebten Söhne, den Abt A. von Altenberg, den Abt von Kamp und den Propst von St. Gereon [in Köln] [mit dem Inhalt, dass Letztere als delegierte Richter den Prozess weiterführen sollten]. Während diese [daraufhin] aber den Prozess fortsetzen wollten, kehrte der Vertreter Gertruds vom apostolischen Stuhl zurück mit einem [wiederum vom Papst] erlangten Brief an die geliebten Söhne, an die Dekane der [Kölner] Domkirche und von St. Gereon und an .., den Scholaster des Kölner Doms, mit der Mitteilung, dass diese das Schreiben, das der Unterhändler Gudas durch Betrug erpreßt hatte, als ganz und gar ungültig und unsinnig erklären und auch das widerrufen sollten, das so der besagten Gertrud zum Nachteil gereicht hatte; den Fall sollten sie danach durch ein kanonisches Urteil beenden. Nachdem sie das vorherige Schreiben [des Vertreters Gudas] widerrufen hatten, wollten sie etwas über [die Umstände der] Wahl erfahren, und so legte die Prozesspartei Gudas dar, dass jener Brief [des Vertreters Gertruds] ihr verdächtig und [deshalb] an den apostolischen Stuhl zurückzuschicken sei; weil Gertrud nun deren Klage als abgewiesen betrachtete - es lagen keine Verdachtsgründe vor und wurde nichts bewiesen -, rief Guda unsere Vermittlung an. Die Richter entschieden aber dagegen und führten auf Grund des Beweises, dass Gertrud vom größeren und besseren Teil der Stiftsinsassen gewählt worden war, und kraft apostolischer Autorität diese in das Äbtissinnenamt ein. Als sie danach einen Boten mit den Akten zum apostolischen Stuhl schickten, ging dieser uneingedenk der Treue, für die er sich bzgl. der zuverlässig durchzuführenden Vereinbarung verbürgt hatte, mit dem Unterhändler Gudas zusammen, dem er alle Urkunden übergab und mit dem er hinsichtlich neu zu bestimmender Richter völlig übereinstimmte. Daher war das [vom Papst] erlangte Schreiben an unsere ehrwürdigen Brüder und geliebten Söhne, den Kölner Erzbischof, den Xantener Dekan und den Propst von St. Gereon, gerichtet [, die nun die Rolle der Richter übernahmen]. Gertrud erschien vor dem Gericht und legte gegen den Erzbischof dar, dass der Prozeß von ihm in dieser Sache angerufen worden war, dass er vom Beginn des Streits an die Partei Gudas bevorzugte, daß er die Erträge der [Gerresheimer] Kirche, die er als ordentlicher Richter während des anhängenden Streits treu zu bewahren hatte und die danach ihr hätten zustehen müssen, die dies durch Urteil innehatte, ihrer Gegnerin zugestand und so jene gegen sie geschützt hätte. Sie sagte darüber hinaus, dass der Xantener Dekan in nächster Blutsverwandschaft mit ihrer Gegnerin und der Propst von St. Gereon kein geeigneter Richter sei, weil er nicht das gesetzmäßige Alter erreicht habe. Dazu erwiderte die Partei Gudas, dass, weil die Richter von der Zustimmung beider Parteien abhingen, Gertrud ihr Urteil nicht in Frage stellen könnte. Aber diese antwortete dagegen, dass, wenn auch ihr Unterhändler die erwähnten Verdachtsgründe gekannt hätte, sie dennoch - getäuscht - mit solchen Richtern zusammengekommen war. Weil schließlich die erwähnten Richter ihre Einwände nicht anerkennen wollten, unterstellte Gertrud sich und den Fall dem apostolischen Schutz und rief unsere Vermittlung an. Aber die Richter sorgten, nachdem sie die Ordnung des Rechts nicht befolgt hatten, dafür, Guda als Äbtissin einzuführen, wobei sie die Stiftsdamen [aus der Partei Gudas], die exkommuniziert waren, ohne irgendeine Buße lossprachen. Diesen Darlegungen antwortete aber der Unter-händler Gudas [beim Papst], dass, weil Guda von sechs Kanonikern und sieben Schwestern, Gertrud aber nur vom zahlenmäßig größeren und an Würde geringeren Teil gewählt wurde, erstere durch einen Boten ein [päpstliches] Schreiben an die Äbte von Altenburg und Kamp und an den Propst von St. Gereon erlangt hatte; diese hätten dann den Fall bis zum Urteil durchprozessieren wollen, doch hätte der Unterhändler Gertruds unser Schreiben an die Dekane der Domkirche und von St. Gereon und an den Scholaster der Domkirche zurückgebracht; als letztere die Parteien unumstößlich vorgeladen hatten, wandte sich Guda dennoch an apostolischen Stuhl, weil ein Gerichtsbeistand, die Übrigen aber von Anfang an die vorgenannte Gertrud begünstigten. Aber nichtsdestoweniger sorgten die Richter dafür, der vorgenannten Gertrud den Besitz des Äbtissennenamtes zuzuweisen und Guda und ihre Wählerinnen zu exkommunizieren. Woher wir danach aufgrund ihrer Bitte den genannten Erzbischof und den Propst von St. Gereon angewiesen haben, diesen Prozess zu beenden. Diese erneuerten das Urteil der vorgenannten Richter und bestätigten die vollzogene Wahl Gudas kraft päpstlicher Autorität. Gertrud aber wandte sich an den päpstlichen Stuhl und zog Zeugen heran zur Beweisführung dessen, was sie darlegte vor den geliebten Söhnen B., dem Priester der Titelkirche St. Susanna, und M., dem Diakon von St. Theodor, den Kardinälen, die wir in dieser Sache als Zuhörer eingesetzt hatten. Und der Anwalt der Guda behauptete, daß er Zeugen beibringen würde, deren Aussage er am apostolischen Stuhl [aber] nicht hat. Worauf wir entschieden, dass diese Verhandlung anvertraut werde den geliebten Söhnen, dem Abt von Steinfeld, dem Propst von St. Severin in Köln und dem Prior von Meer, denen wir durch unser Schreiben das Mandat gegeben haben, die Zeugen, die beide Parteien beibringen, anzuhören und anzunehmen, auch die Aussagen vor den schon genannten Kardinälen, die wir ihnen verschlossen in unserer Bulle geschickt haben, darzulegen und anderes, was vor ihnen angezeigt wird, offenzulegen, wobei sie Gott vor Augen haben sollten, wenn die Parteien sich einig seien, und ein endgültiges Urteil treffen sollten. Sie schickten indes alle eingebrachten Auslassungen in Akten, versehen mit ihren Siegeln, zum apostolischen Stuhl und stellten den Prozessparteien ein angemessenes Ende in Aussicht, durch das jene durch sie oder geeignete Anwälte ein endgültiges Urteil erlangen würden. [Aus den Akten ging dabei hervor:] Nachdem deshalb die Parteien zusammengerufen worden waren und in Gegenwart dieser Beauftragten sich aufstellten, überreichte Gertrud den Richtern unser Schreiben und forderte für sich Gerechtigkeit. Nachdem sie [die Richter] dieses gewohnheitsmäßig durchgelesen hatten, bat Guda, ihr die Abschrift des Briefes offenzulegen. Gertrud sagte, dass dieser Bitte in keiner Weise entsprochen werden sollte, weil ihr Anwalt, den sie zu uns geschickt hatte, ihr denselben Brief überbracht hatte. Und weil darüber langwierig gestritten wurde, fand sich Gertrud endlich dazu bereit, Guda die Abschrift des Briefes mitzuteilen. Nachdem dieser sorgfältig gelesen worden war, forderte sie [Guda] eine erwägenswerte Unterbrechung, die Gertrud sich völlig zu verweigern anmaßte, weil diese oft und öfter zugestanden worden war, und lange einen ausgedehnten Prozeß. Und weil sie darüber langwierig gestritten hatten, haben diese Richter auf Anraten der klugen und gläubigen Männer beschlossen, der von Guda erwogenen Unterbrechung nicht zuzustimmen, bald weil vor fast allen Richtern der Prozess schon verhandelt worden war, bald weil Guda nicht zugeben wollte, dass sie den Brief durch ihren Boten wenigstens angenommen hatte. Was dazu führte, dass Guda unsere Vermittlung anrief. Diese beachteten aber die im Schreiben nicht vorgesehene Anrufung [, fuhren daher weiter fort], befragten die Zeugen der Gertrud zu deren Klage in dieser Sache und schickten deren Aussagen, weil sie rechtmäßig offengelegt worden waren, mit dem, was vor den erwähnten Kardinälen verhandelt wurde - insoweit dies der Wortlaut der apostolischen Botschaft enthielt -, verschlossen und mit ihren Siegeln versehen zu uns. [Es folgt die Entscheidung durch den Papst:] Nachdem die Anwälte beider Parteien persönlich erschienen waren und weil uns durch den erwähnten Priester B., den Kardinal, den wir ihnen als Ansprechpartner gegeben haben, das, was dargelegt wurde, gewissenhaft verlesen wurde, nachdem [weiter] die gehörten Überlegungen und Vorhaltungen vollständiger erfaßt worden waren, haben wir also beachtet, dass Gertrud von dem größeren und verständigeren Teil der Stiftsangehörigen, die - wie bewiesen worden ist - alleine das Recht der Wahl besitzen, kanonisch zur Äbtissin gewählt wurde; die Ernennung Gudas ist somit aufgehoben, und wir haben kraft apostolischer Autorität die Wahl der Gertrud versichert. Wir weisen eurer Klugheit durch dieses apostolische Schreiben an, dass ihr, nachdem das Hindernis irgendwelcher Einsprüche und Appellationen beseitigt worden ist, euch darum sorgt, sie [Gertrud] durch unsere Autorität in das Äbtissinnenamt einzuführen, und veranlasst, dass sie eine friedliche Amtsausübung genießt, usw.

Gegeben im Lateran, an den 6. Kalenden des Juli. [Buhlmann]

Lateinische Originalurkunde. - NrhUB II 78.