Schramberg im Mittelalter
Hirsau (Kloster)
Um die Mitte des 11. Jahrhunderts gewann ein Kloster im Nordschwarzwald, im Nagoldtal große Bedeutung: Hirsau. Die Anfänge dieser noch zum Fränkischen und zur Speyerer Diözese gehörenden Mönchsgemeinschaft liegen fast im Dunkel der Geschichte. Irgendwann im 8./9. Jahrhundert (v.768?, ca.830?) ist durch Vorfahren der hochmittelalterlichen Grafen von Calw in Hirsau eine Klosterzelle errichtet worden. Ein Vorgängerbau der romanischen Aureliuskirche des 11. Jahrhunderts stammt aus dieser Zeit. Das 10. Jahrhundert sah den Verfall des kleinen Klosters, um das Jahr 1000 muss es menschenleer gewesen sein. Auf seiner Reise durch Deutschland forderte Papst Leo IX. (Bruno von Egisheim-Dagsburg, 1049-1054) im Jahr 1049 seinen Verwandten, Graf Adalbert II. von Calw (†1099) auf, sich um die Wiederbesiedlung der Klosterzelle zu kümmern. Doch erst 1065 zogen Mönche in Hirsau ein. Der erste Abt Friedrich (1065-1069) erregte den Unwillen seiner Mönche und des Klosterstifters Adalbert und wurde im Jahre 1069 durch einen Mönch des Regensburger Klosters St. Emmeram ersetzt: Wilhelm von Hirsau (1069-1091).
Unter Wilhelm begann eine innere und äußere Neugestaltung der Abtei im Sinne von Gregorianischer Kirchenreform und cluniazensischem Mönchtum. Das "Hirsauer Formular" vom Oktober 1075 eröffnete mit dem Verzicht des Calwer Grafen Adalbert II. auf eigenkirchliche Ansprüche und mit dem "Recht der vollen Freiheit" (ius totius libertatis) bei freier Abts- und Vogtwahl neue Möglichkeiten, die das Kloster im Rahmen der Hirsauer Reformbewegung umsetzte. Reformierte Klöster Hirsauer Prägung, Hirsauer Priorate, Hirsauer Baustil machten Wilhelm zum "Vater vieler Klöster" in Schwaben (u.a. St. Georgen, St. Peter), Franken, Elsass, Thüringen und Kärnten, ohne dass eine auf Hirsau ausgerichtete Kongregation von Klöstern zustande kam. Das Hirsauer Kloster sollte im Investiturstreit (1075-1122) eine bedeutende Rolle spielen, es war der Mittelpunkt der Kirchenreformer in Deutschland.
Unter Wilhelms Nachfolgern verblassten der Ruhm und das Innovative des Hirsauer Klosterlebens. In der Regierungszeit Abt Folmars (1120-1156) wurde aus der einstmals so bedeutenden Mönchsgemeinschaft ein Provinzkloster, das unter dem wirtschaftlichen Niedergang, den Übergriffen der Vögte und den Disziplinlosigkeiten der Mönche schwer zu leiden hatte. Insbesondere nahm die reichhaltige Güterausstattung des 11. und 12. Jahrhunderts - immerhin 20 Fronhöfe, 1800 Hufen, 37 Mühlen, 14000 Morgen Wald und 31 Ortsherrschaften im nördlichen Schwarzwald, Breisgau, Elsass und im Schwäbischen - so ab, dass das Kloster um 1500 nunmehr nur noch an 100 Orten der näheren Umgebung mit Gütern und Rechten vertreten war, freilich dort mit einer intensiven Besitzstruktur. Die Rentengrundherrschaft des 16. Jahrhunderts war dabei geografisch in Ämter und Pflegen als Verwaltungsbezirke unterteilt.
Mit dem Tod Graf Adalberts VI. (1205-1215) endete die zuletzt konfliktträchtige Vogtei der Calwer Grafen, die Hirsauer Schirmvogtei kam in den Besitz von Reich und staufischem Königtum. Während des Interregnums (1245/56-1273) war das Kloster daher ohne Vogt, König Rudolf I. von Habsburg (1273-1291) übertrug die Vogtei als Reichslehen an die Grafen von Hohenberg. 1334 bezeichnete sich Kaiser Ludwig der Bayer (1314-1347) als Klostervogt, 1468 war Graf Eberhard V. von Württemberg (1450-1496) Kastvogt der Mönchsgemeinschaft, deren Besitz immer mehr in den Sog verschiedener Territorien, allen voran Baden und Württemberg, geriet.
Das 13. und 14. Jahrhundert stellte auch in der inneren Entwicklung des Klosters einen Tiefpunkt dar. Abt Eberhard (1216-1227) soll sich schwerer Vergehen schuldig gemacht haben, unter ihm begann man mit der Veräußerung von Besitz. Die Mönche kamen aus den Ministerialenfamilien der Umgegend, aus dem Niederadel rekrutierten sich die Äbte und Prioren. Mönche mussten vom Abt in andere Klöster geschickt werden, da in Hirsau ihre Versorgung nicht sicher gestellt war. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts, unter Abt Friedrich Ifflinger (1403-1428), drangen kirchlich-monastische Reformströmungen in Hirsau ein. Das Petershauser Provinzialkapitel von 1417 spielt hier eine Rolle, ebenso Einflüsse der Melker Reformbewegung ab 1424. Doch entschied sich Abt Wolfram Maiser von Berg (1428-1460) letztlich für die Bursfelder Union, in die Hirsau am 9. Oktober 1458 aufgenommen wurde. Abt Bernhard von Gernsbach (1460-1482), der secundus fundator der Mönchsgemeinschaft, setzte die von seinen Vorgängern begonnene Erneuerung des Klosterlebens erfolgreich fort. Ein starker wirtschaftlicher Aufschwung äußerte sich in Neubau und Erweiterung der Klostergebäude, die Zahl der Konventualen nahm zu, die Mönche waren nun nicht mehr nur Niederadlige aus dem Umfeld des Klosters, sondern kamen aus der württembergischen Ehrbarkeit, dem Bürgertum und den reichen Bauernfamilien. 1493 tagte das benediktinische Provinzialkapitel in Hirsau, und Abt Johannes Trithemius von Sponheim (1485-1506) verfasste auf Veranlassung des Hirsauer Klosterleiters Blasius Scheltrub (1484-1503) in der Folge seine "Hirsauer Chroniken".
Disziplin und Verfassung des Klosters ließen an der Wende zum 16. Jahrhundert indes nach. Es gab aufsässige Mönche, Abt Blasius wurde zeitweilig suspendiert, die Bindung an die Bursfelder Union litt. 1525 wurde Hirsau vom Bauernkrieg in Mitleidenschaft gezogen, 1535 führte Herzog Ulrich I. von Württemberg (1498-1550) als Klostervogt die Reformation ein. Nach Augsburger Interim (1548) und Restitutionsedikt (1629) kehrten vorübergehend katholische Mönche nach Hirsau zurück. 1556 wurde das Kloster in eine evangelische Klosterschule umgewandelt, die Grundherrschaft in ein Klosteramt. 1807 wurde das Klosteramt aufgelöst.
Überstanden haben die Jahrhunderte die Hirsauer Klosterruinen und -gebäude: die Reste von Kirche (einschließlich des Eulenturms) und Kreuzgang, der spätgotische Bibliothekssaal, die ebenfalls spätgotische Marienkirche, Reste von Sommerrefektorium und Umfassungsmauern.
Buhlmann, Mönchtum; GB 5